Mitmensch Android
 
Hausarbeit in Medienwissenschaft
 
Bei Dr. Achim Bühl
Philipps-Universität Marburg
Zum Seminar: Star Trek - Sozialutopie, Mythos und Kult
Im SS 1998
 
Thema: Die Bedeutung des Lieutenant Commander Data in der Serie Star Trek: The Next Generation
 
Von Julia Abrahams und Marc Janott
 
 
 
 
"Our function is to contribute in a positive way to the world in which we live."
Lt. Cmdr. Data in Star Trek: TNG - The Offspring
 

 



 

 

Inhaltsverzeichnis

Mitmensch Android - Die Bedeutung des Lieutenant Commander Data in der Serie Star Trek: The Next Generation *

Anhang * Quellen *  
 

 
 
Mitmensch Android - Die Bedeutung des Lieutenant Commander Data in der Serie Star Trek: The Next Generation
     
    Einleitung
     
      Star Trek ist ein Phänomen. Seit dreißig Jahren erfreut sich die Idee von der Sternenflotte und der Vereinigten Föderation der Planeten der Beliebtheit des Publikums. Keine andere Fernsehserie verzeichnet bisher einen solchen Erfolg.

      Zu dem dafür notwendigen inhaltlichen Potential trägt in der Serie Star Trek: The Next Generation (TNG) die Figur des Lt. Cmdr. Data einen wesentlichen Teil bei. Wir werden hier die Bedeutung dieses Charakters erarbeiten und uns so einem Aspekt dessen nähern, was die Faszination von Star Trek ausmacht.

      In Kapitel 1 wird zunächst ergründet, was ein Android ist und wie die Figur des Data in der Serie konzipiert ist. Auf die Frage nach der Herkunft des Kunstmenschmotivs, seiner Aktualität und möglichen Zukunft wird in Kapitel 2 eingegangen. Im Mittelpunkt steht hierbei die Dialektik von Mensch und Maschine im historischen Überblick. Am Ende des Kapitels wird dann mit einem Vergleich zu anderen Werken der Science-Fiction wieder direkter Bezug auf Star Trek genommen.

      Datas Wunsch, menschlich zu werden, wird in Kapitel 3 analysiert. Dabei wird besonders auf Datas Sozialkontakte eingegangen. Die Beziehung zum Zuschauer wird in den Kapiteln 4 und 5 hergestellt. Datas Potential zur Identifikationsfigur und seine dramaturgischen Funktionen machen ihn zum Sympathieträger, wie in Kapitel 6 gefolgert wird.
       

    Wer oder was ist Lt. Cmdr. Data?
     
      Zunächst wollen wir einige Bemerkungen zur Konzeption des Charakters Lt. Cmdr. Data anführen. Von der ursprünglichen Idee der Figur über die tatsächliche Umsetzung der Rolle finden wir zu der seit den 1950er Jahren intensiv geführten Diskussion um das Verhältnis von Mensch und Maschine.

      Android?
       

        Ryker: Commander, was sind Sie?

        Data: Ein Android.

        Ryker: Was ist das?

        Data: Websters Wörterbuch, vierundzwanzigstes Jahrhundert, fünfzehnte Auflage, beschreibt einen Androiden als eine Maschine, die dem Menschen äußerst ähnlich ist.

        Mit diesen Worten definiert Data den Begriff Android und damit sich selbst. Das Wort Android stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus Andro… = Mann… und …id = …ähnlich. {Wilhelm Dultz (Hrsg.): Ullstein Fremdwörterlexikon; Frankfurt / Main / Berlin / Wien, 1973} Der Dudenverlag bezeichnet als Androiden eine "Maschine, die in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Bewegungsverhalten einem Menschen ähnelt (Kunstmensch)." {Duden - Das Fremdwörterbuch; Mannheim 1995} In den Captain Future Romanen von Edmond Hamilton erscheint die Figur Otto (Otho), ein "Mitglied der Captain Future-Mannschaft. Er ist ein Android, ein Kunstmensch aus Plastik, den Captain Futures Vater gebaut hat. Er kann aus eigener Kraft seine Gestalt beliebig verändern." {6/98, http://www.captainfuture.com/}

        Im Unterschied zum Cyborg {Cyborg ist eine Kurzform von kybernetischer Organismus - siehe Glossar}, der den Weg vom vorhandenen Menschen zur Maschine beschreibt, steht der Android für den entgegengesetzten Weg. Der Cyborg definiert sich durch die "Integrierung technischer Geräte in den Menschen als Ersatz oder zur Unterstützung nicht ausreichend leistungsfähiger Organe". {Duden - Das Fremdwörterbuch, a.a.O.} Ein Android hingegen ist ein von grund auf künstlich erschaffenes Wesen, das idealerweise von einem Menschen nicht zu unterscheiden ist. Dadurch wird auch eine Abgrenzung zum Roboter getroffen, der als selbstbeweglicher Automat konstruiert und eingesetzt wird, um spezielle praktische Aufgaben auszuführen. {nach Meyers Lexikon; Mannheim 1995} Die Arbeitseffektivität eines Roboters steht beim Design an erster Stelle, nicht das Erscheinungsbild.

        Data kommt der Idealvorstellung eines Androiden recht nah. Er besitzt ein weitestgehend menschliches Aussehen und er ähnelt dem Menschen in seinem Bewegungsverhalten. Er fügt sich ohne größere Schwierigkeiten in eine soziale Umgebung ein und kommuniziert mit seinem Umfeld in natürlicher Sprache. Einen IQ-Test würde er allerdings problemlos mit einem unmenschlich hohen Wert absolvieren, dafür zeigt er ein deutliches Defizit im emotionalen Bereich. {Dr. Noonian Soong konstruierte jedoch einen Gefühlschip, der Data in den beiden TNG-Kinofilmen Emotionen erleben ließ. - Star Trek Generations; Regie: David Carson; USA, 1994, Star Trek - First Contact; Regie: Jonathan Frakes; USA, 1996}
         

      Rollenidee
       
        Dank der vielseitigen Merchandising-Artikel, die derzeitig auf dem deutschen Markt angeboten werden, ist es möglich weitreichende Informationen über die Arbeit an den unterschiedlichen Star Trek-Serien zu finden. So unter anderem auch die original Rollenbeschreibungen der Hauptcharaktere für TNG, wie sie an die Casting Agenturen herausgegeben wurden.

        Im Falle des Data sollte es sich um einen Androiden mit dem Aussehen eines Mannes mitte dreißig handeln. Weiter sollte er exotische Merkmale besitzen und deshalb aus einer der folgenden ethnischen Gruppen stammen: Asiat, Indianer, Inder, Südamerikanischer Indianer oder ähnliches. Data sei in bester körperlicher Verfassung, so hieß es anschließend, und sollte möglichst intelligent wirken. {"He is an android who has the appearance of a man in his mid thirties. Data should have exotic features and can be anyone of the following racial groups: Asian, American Indian, East Indian, South American Indian or similar racial groups. He is in perfect physical condition and should appear very intelligent." - zitiert nach Larry Nemecek: The Star Trek The Next Generation Companion; New York, 1992, S. 13}

        Schon aufgrund dieser kurzen ersten Rollenbeschreibung lassen sich einige entscheidende Andeutungen finden, wie mit dem Thema Android, oder im weiteren Sinne Künstliche Intelligenz, in der Serie umgegangen wird, und wie das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine beschaffen sein könnte. Die Maschine erhält menschliches Aussehen, was dem Zuschauer ermöglicht, sie als Persönlichkeit zu akzeptieren. Andererseits wird durch exotische Züge von vornherein ihre Andersartigkeit visualisiert. Körperliche Überlegenheit und herausragende Intelligenzleistung werden hier lediglich angedeutet.

        Natürlich handelt es sich hierbei um gestalterische Mittel, einen Charakter interessanter wirken zu lassen, da die meisten Menschen etwas Besonderes, eben anders sein wollen und sich deshalb auch für alles begeistern, was andersartig ist und dabei aber noch genügend Gemeinsamkeiten aufweist, um sich damit identifizieren zu können. Trotzdem dürfen wir nicht vergessen, daß die Verleihung exotischen Aussehens auch klar dazu dient, Data als Maschine vom Menschen in eindeutiger Weise abzuheben, sowohl im negativen wie auch im positiven Sinne. Data ist kein Mensch. Was das für ihn persönlich, seine Umgebung, seinen Wert und seine Rechte bedeutet, wird in den unterschiedlichsten Varianten innerhalb der Serie thematisiert und nimmt einen wichtigen Stellenwert ein, da dadurch nicht nur die Grenzen und Möglichkeiten von Maschinen analysiert werden, sondern auch die exponierte Stellung des Menschen in dieser Welt noch einmal überdacht werden muß. Dazu aber später mehr.

        Abschließend läßt sich zur Rollenidee des Data noch bemerken, daß sie hervorgegangen ist aus einem älteren Konzept von Gene Roddenberry. Der Android Questor sollte der Held einer TV-Serie werden, in der er auf der Suche nach seinem Erschaffer ist. Der Pilotfilm hierzu, The Questor Tapes, wurde jedoch nie gedreht. {mehr dazu: Nemecek, Larry: The Star Trek The Next Generation Companion, a.a.O.}
         

      Rollenrealisation
       
        Wie so oft werden erste Konzepte gerne noch einmal umgeworfen. Zwar ist uns nicht bekannt, welche Überlegungen die Macher von Star Trek dazu veranlaßt haben, daß Data offensichtlich nicht in allen Punkten so realisiert wurde, wie ursprünglich geplant. Sein exotisches Aussehen ist in der Serie durch eine metallisch-grüne Haut, gelbe Augen und eine strenge Frisur äußerlich gekennzeichnet, anstatt durch die Merkmale einer ethnischen Minderheit. Die Vermutung läßt sich anstellen, daß die Produzenten den maschinellen Charakter der Figur dadurch auch auf den ersten Blick besser kenntlich machen wollten. Nichtmenschliches durch die Besonderheiten einer ethnischen Minderheit darzustellen, wäre außerdem unangemessen und politisch fragwürdig. Hinzu kommt, daß der Zuschauer Äußerlichkeiten automatisch mit bestimmten Eigenschaften assoziiert, geprägt durch filmische Konventionen. Die übrigen Merkmale, die in der Rollenbeschreibung für die Casting-Agenturen vermerkt waren, wurden jedoch beibehalten. Das macht Data zu einer der Figuren, die im Verlauf der Startvorbereitungen für den Dreh der Serie am wenigsten verändert wurden.

        Ob nun die Veränderungen aus gestalterische Gründen vorgenommen wurde, oder die Besetzung der Rolle mit Brent Spiner die Änderungen nach sich zog, läßt sich nur mutmaßen. Fest steht, daß Spiner den Androiden einfühlsam und glaubwürdig verkörpert.

        Ein Indiz für Spiners Talent liefert die folgende Beobachtung: Eines der wichtigsten Charakteristika von Data ist seine Unfähigkeit, menschliche Emotionen empfinden. So behauptet er jedenfalls konsequent. Sein größter Wunsch ist es deshalb, Gefühle zu entwickeln. Dafür beobachtet und studiert er menschliche Verhaltensweisen. So eine Vorgabe ist natürlich für alle Beteiligten - Drehbuchautoren, Regisseur und nicht zuletzt Darsteller - äußerst schwer zu realisieren, denn eine vollkommen gefühllose Figur würde das harmonische Gesamtbild der Serie stören. Die anderen Besatzungsmitglieder wären ihr schlichtweg egal. Da aber Star Trek "den Menschen als zutiefst soziales Wesen betrachtet, das in Gruppen gedeiht und allein oder in der Isolation nicht überleben kann" {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums; 1998 deutsche Ausgabe, S.119}, wäre solch eine Figur ein schmerzlicher Störfaktor in der in Star Trek proklamierten Gesellschaft. Der Zuschauer wäre kaum bereit, Data in positiver Weise anzunehmen.

        Deshalb versahen die Autoren Data mit einem Programm, welches ihn befähigt, nicht nur menschliches Verhalten zu imitieren, sondern auch gleich die dazugehörige Mimik und Gestik. Das funktioniert nicht immer nach Plan, was für einige Lacher sorgt. {siehe hierzu S. *} Paradoxer Weise imitiert er bei anderen Gelegenheiten bestimmte Gesichtsausdrücke so perfekt, daß der Zuschauer sich unweigerlich fragt, ob der Android nicht doch zu bestimmten Gefühlsregungen fähig ist. Obwohl Data immer wieder beteuert, zu keinen Emotionen fähig zu sein, sie nur zu imitieren, um der Besatzung den Umgang mit ihm zu erleichtern, so zeigt er trotzdem gelegentlich gefühlsbetonte Mimik, selbst wenn er allein ist, wenn also keine Notwendigkeit zur Imitation besteht. Diese Inkontinuität in der Serie wird aber durchaus bewußt in kauf genommen, um Data als Sympathieträger zu etablieren. Gerade diesen Widerspruch versteht Brent Spiner wunderbar darstellerisch umzusetzen und damit die Dialektik von Mensch und Maschine zu verdeutlichen.
         
    Dialektik von Mensch und Maschine
      Ein idealer Android ist ein künstlich geschaffenes Wesen, daß vom Menschen nicht unterscheidbar ist. Wie soll man sich ihm gegenüber verhalten? Soll man ihn als gleichwertig einschätzen? Begriffe wie Leben, Seele, Bewußtsein, Intelligenz oder Geist müssen überdacht werden. {für mögliche Definitionen siehe Glossar} Worin unterscheidet sich der Android vom Menschen? Wieviel Technik darf ein Mensch sich implantieren, bevor er zum Cyborg wird? Hinter diesen Gedankenspielen steht die relevante Frage: Welche Auswirkungen hat die Maschinisierung des Menschen, bzw. die Menschwerdung der Maschine auf unsere Welt und auf uns?

      Im folgenden Abschnitt werden wir die angedeutete Dialektik von Mensch und Maschine anhand des Diskurses in Wissenschaft und Philosophie nachvollziehen. Wir werden einen Überblick über den aktuellen Stand der Entwicklung von Maschinenmenschen geben und prüfen, inwieweit in der Serie TNG Position bezogen wird. Mit einem kurzen Blick auf andere Science Fiction-Filme und -Bücher setzen wir TNG schließlich in Relation zu anderen Technikvisionen.

      Tradition und Motivation der Kunstmensch-Idee

        Das Motiv des künstlichen Menschen ist nicht neu. In sagenhaften Erzählungen und Legenden wird der Mythos einer manuellen Schöpfung ebenso behandelt wie in der belletristischen und wissenschaftlichen Literatur. Auch Theaterstücke, Opern und Filme nahmen sich des Themas an. Seit jeher haben die Menschen über Möglichkeiten nachgedacht, ihre eigene Schöpfung nachzubilden oder sogar zu übertreffen. Eine großartige Sammlung alter Schriften hat Klaus Völker 1971 zusammengestellt. {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen; 1994; München, 1971} In seinem 71 Seiten umfassenden Nachwort beschreibt er ausführlich die Geschichte des Kunstmenschmotivs.

        Golem

          Das handwerklich geschaffene Wesen aus Lehm, der Golem, hat die längste Tradition unter den verschiedenen Ideen künstlicher Schöpfung. In einigen Versionen der griechischen Sagen bereits, tritt der Titan Prometheus als Menschenschöpfer auf, der die Menschen aus Ton erschafft. In anderen Versionen bringt er den Menschen die Kultur und das Feuer, ist aber an ihrer Schöpfung nicht beteiligt. In jeder Version jedoch sind seine Taten rebellische Versuche, den höchsten Gott Zeus zu betrügen (der im übrigen zuvor den Titanen die Herrschaft über die Welt entriß). Das Golem-Motiv, wie es im 12. Jahrhundert sich herausbildete, ist hier bereits zu erkennen. Dazu später.

          Die eigentliche Legende vom Golem geht "auf talmudische Zeugnisse zurück. Das Wort »golem« bedeutet: Erdkeim, ungestaltetes Klümpchen. Psalm 139, Vers 16 lautet: »meinen Golem sahen deine Augen.« Luther übersetzte diese Stelle: »Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war.« Im Talmud entwickelt sich das Wort zu einem umfassenderen Begriff, der alles Ungestaltete und Unfertige, das sich in einem Zustand des Werdens befindet, in sich schließt." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 430} In den talmudischen Adamssagen formt Gott die ersten Menschen aus dem unförmigen Golem des unfertigen Adam.

          Für den von Menschen geschaffenen künstlichen Menschen wird der Begriff Golem erst seit dem 12. Jahrhundert verwendet, als die Kabbalistische {Kabbala siehe Glossar} Bewegung entstand.

          Mit der Erschaffung eines Golems sollte die göttliche Allmacht herausgefordert werden. Es ging darum, den Schöpfungshergang zu imitieren. "Die Golemschöpfung widerspricht göttlichem Gesetz, das verfügt: »Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, weder des, das im Wasser unter der Erde ist.« Ausgehend von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen würde ja eine gelungene Golemschöpfung auch bedeuten, daß mit dem Golem Gott stellvertretend zerstört werden könnte. Und so wird nicht vor der Gefährlichkeit der vielleicht in dem künstlichen Menschen verborgen liegenden Kräfte gewarnt, sondern vorm Götzendienst, vor der Anbetung eines Golems, in dem man Gott vermutet". {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 432}

          Ab dem 15. Jahrhundert erfährt das Golem-Motiv eine Veränderung durch vermehrte Verwendung in volkstümlichen Märchen und Legenden. Der Golem wandelt sich von einem zu mystischen Zwecken vorübergehend erschaffenen Wesen zu einem plumpen, dummen Kerl aus Lehm, der dem Menschen dienen soll. Die bekanntesten Golem-Legenden entstanden aber erst Anfang des 19. Jahrhunderts. "In dieser modernen Version sind die Golemlegenden zu trivialen Volksmärchen verkommen, denen keinerlei volkskundliche, geschweigedenn literarische Bedeutung mehr zukommt. An die Stelle des Unheimlichen ist das Sentimentale getreten, die Legende ist zum frommen Traktat geworden" {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 438}, weiß Völker zu berichten und schreibt weiter "Der Legende wurden weitere Motive einverleibt und Ausschmückungen zuteil, so daß sie schließlich novellistisches Gepräge erhielt." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 440} Insbesondere die - meist tödliche - Bestrafung des Golem-Erschaffers durch Schicksal oder Auflehnung des Golems gegen seinen Schöpfer kamen hinzu.

          Ursprünglich ging von dem Golem an sich keine Gefahr aus. Lediglich Fehler bei der Herstellung konnten sich negativ auswirken. In der Literatur des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Golem-Motiv zunehmend zu dem Motiv des bösen Doppelgängers. "Der Golem ist eine Art Abspaltung des Ichs, sein böser Teil, der den Guten verfolgt und zum Kampf fordert." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 447} Auch als Symbol für Außenseiter der Gesellschaft, die danach streben, wie andere Menschen zu sein, wird der Golem seit dem 19. Jahrhundert in Romanen und Volksmärchen gern benutzt.

          Von der ursprünglichen Idee einer anmaßenden Herausforderung Gottes ist im Laufe der Jahrhunderte nicht mehr viel übrig geblieben. Wir werden sehen, daß mit dem verwandten Homunculus-Motiv ähnliches geschah.
           

        Homunculus
          "Während es bei der Schöpfung des Golem darum geht, die Erschaffung des Menschen durch Gott zu imitieren, ist mit der Homunculus-Bereitung vor allen Dingen ein Bessermachen gemeint. Der Mensch soll künftig, wie es in Goethes Faust heißt, einen »reinern, höhern Ursprung haben«." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 458} So stellt Völker den Unterschied der beiden mythischen Motive heraus.

          Die Vorstellung von der Erschaffung eines Homunculus war vor allem in der Hochzeit der Alchimie publik. Die Alchimisten suchten nach Möglichkeiten, Stoffe zu veredeln, wobei Gold als edelstes Material meist die Zielvorgabe war. Auch menschliche Körperflüssigkeiten galten als edel und wurden zusammen mit Silber oder Wasser oft als Ausgangsstoffe gewählt. Durch sukzessive Wandlung zu immer edleren Stoffen konnte, laut diverser Aufzeichnungen, je nach Wahl der materia prima aus Kupfer Gold oder aus einer Mischung von Urin, Sperma und Blut belebtes Fleisch, also ein menschenartiges Geschöpf gewonnen werden, ein Homunculus. Die "Idee vom Homunculus ist bereits vor Paracelsus [{"Paracelsus: Philipp Theophrastus Bombastus v. Hohenheim, genannt P., 1493 - 1541, einem schwäbischen Geschlecht entstammender Arzt u. Naturforscher, Begründer einer auf Naturbeobachtungen u. Erfahrung beruhenden Medizin, Verfasser zahlreicher Schriften (u.a. >>Über die Medizin<<)." - Roche-Lexikon Medizin; München / Wien / Baltimore, 1987}] verbreitet gewesen. In den Homilien des Clemens Romanus (etwa 250 n. Chr.) findet sich der Bericht über Simon Magus, der einen Menschen aus Luft, die er erst in Wasser, danach in Blut und schließlich in Fleisch verwandelte, erschaffen haben soll." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 454}

          Im Gegensatz zur Idee der Alchimisten, die Schöpfung zu übertreffen, verwandelten die entstehenden volkstümlichen Legenden und die Belletristik die Homunculi schnell in Grusel-Monster. Sie wurden ähnlich wie der Golem mit sentimentalem und profanem Beiwerk zu Figuren, die symbolische Funktionen hatten, deren ursprüngliche Motivation aber verloren ging.
           

        Automaten
          Ein weiteres Motiv der Herstellung künstlicher Menschen sind die Automaten. Im Gegensatz zu Golems oder Homunculi geht es bei den Automaten nicht darum, tatsächlich ein lebendiges Menschenwesen zu erschaffen, sondern vielmehr darum, einen maschinellen Androiden zu konstruieren, der einen bestimmten Zweck erfüllt. Dieser Zweck kann zum Beispiel sein, dem Menschen Arbeit abzunehmen, ihn durch Spiel zu unterhalten oder einfach ein Publikum durch seine menschenähnliche Erscheinung zu verblüffen.

          In der Antike war der Gedanke verbreitet, Automaten in Menschengestalt als willenlose Sklaven zu schaffen. Aber auch von selbsttätig sich bewegenden Götterbildern wird berichtet.

          Im Mittelalter gewann die Kunstfertigkeit der Automatenbauer deutlich an Bedeutung. Konstrukteure und Wissenschaftler aus Europa und dem Orient trafen sich, um die neuesten Entwicklungen zu begutachten. Es ging nicht mehr in erster Linie darum, zweckbestimmte mechanische Knechte zu schaffen, sondern um die technische Perfektion der Androiden. Ähnlich wie bereits beim Golem- und beim Homunculus-Motiv beschrieben, wurden Berichte über die präsentierten "Wunderwerke" schnell in volkstümlichen Erzählungen verarbeitet, wobei den eigentlich rein handwerklichen Kunststücken mystische Eigenschaften angedichtet wurden und ihren Erschaffern Zauberei nachgesagt wurde. Diese Märchen und Legenden nährten die "Vorstellung von drohenden und strafenden Statuen" {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 469}, die zu der Zeit große Bedeutung hatte, und umgekehrt nährte diese Furcht die Geschichten.

          Als im 18. Jahrhundert sich Rationalismus und philosophischer Materialismus etablierten, erhielt die Automatenbaukunst eine neue Grundlage. "Die These, daß der menschliche Körper einer Uhr entspreche, führte dazu, daß Uhrmacher sich die Herstellung des perfekten künstlichen Menschen zum Ziel setzten." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 473} Die Mechaniker glaubten, den menschlichen Körper vollständig physikalisch beschreiben zu können, und auch das Verhalten sollte ausreichende Regelmäßigkeiten aufweisen, um sich mit genügend hohem Aufwand mechanisch nachbilden zu lassen. Die Erfinder und Schausteller, die ihre Androiden der Öffentlichkeit vorführten, hatten auch einen beachtlichen Erfolg vorzuweisen. Allerdings hatte der Rationalismus wohl doch noch nicht alle Menschen erreicht, denn häufig wurde den Automatenbauern Hexerei und Schwarzkunst vorgeworfen.

          Mit zunehmender Perfektion wurde der menschenähnliche Automat auch für die schöngeistige Literatur und die Dichtung entdeckt. Ein mittelmäßiger Android bot keinen interessanten Stoff. Ein idealer Android jedoch, den man fast oder gar nicht mehr von einem echten Menschen unterscheiden kann, bot reichlich Anlaß zur kritischen Auseinandersetzung mit Ethik und Moral, mit Mystik und Grauen der Idee. Das Motiv des gegen seinen Erfinder sich auflehnenden Kunstmenschen wurde seit dem 19. Jahrhundert, wie beim Golem, auch auf den Automaten angewendet und kennzeichnet den Beginn einer kritischen Technologieabschätzung.
           

        Künstliche Menschen in der Science Fiction
          Den Beginn der Science Fiction-Literatur, darüber herrscht nahezu Einigung, stellt Mary W. Shellys Roman Frankenstein oder Der moderne Prometheus von 1818 dar. Das Buch handelt von dem talentierten Wissenschaftler Victor Frankenstein, der einen Weg gefunden hat, künstliches Leben zu erschaffen. Er fügt Teile verschiedener Leichen zu einem vollständigen Menschen zusammen und belebt ihn. Von seinem eigenen Tun erschreckt, verstößt er die Kreatur, die sich in die Berge flüchtet. Dort beobachtet sie eine Bauernfamilie, deren klare Moralvorstellungen sie verinnerlicht. Das Monster, wie die Kreatur bezeichnet wird, bringt sich selbst Lesen und Sprechen bei. Erst als es mit anderen Menschen in Kontakt tritt, erfährt es Ablehnung und Feindseligkeit. Unfähig, sich in eine solche Gesellschaft einzugliedern, wird es gnadenlos gejagt. Aus Verzweiflung und Unverständnis wird es gewalttätig und tötet auch Frankenstein.

          Einige bekannte Motive lassen sich in der Geschichte wiederfinden. Bereits der Untertitel Der moderne Prometheus verweist auf die "Wunschvorstellung, den Göttern nicht nur das Geheimnis zu entreißen, wie man Menschen herstellt, sondern auch das Privileg, über die Geschöpfe beliebig zu verfügen." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O., S. 426} Es wird zwar keine nachvollziehbare wissenschaftliche Erklärung gegeben, doch erweckt Frankenstein sein Geschöpf ohne Zauberkraft oder magische Worte zum Leben. Shelly kombiniert auf diese Weise die Vorstellung vom Golem als handgefertigtes lebendes Wesen mit dem rationalistischen Ansatz, welcher Homunculi und Automaten verbindet. Auch die Idee des gegen seinen Schöpfer sich erhebenden Monstrums, die in den jeweiligen Volkserzählungen auftrat, entdecken wir hier wieder.

          Doch die wesentliche Neuerung besteht in der Gewichtung der Charaktere und der Konzentration auf die Persönlichkeitsentwicklung der künstlichen Kreatur. Für Thomas Richards ist das Geniale an diesem Roman der Umstand, daß das Monster die empfindsamste Figur darin ist. "Der größte Teil des Romans widmet sich der Erzählung des Monsters über seine persönliche Entwicklung - in seinen Worten ein Bericht über »Ereignisse, die mir Eindrücke verschafften, die aus dem, was ich war, den machten, der ich bin«. Das Monster ist die einzige Figur im Roman, die sich verändert und entwickelt." {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 83f} Den wissenschaftlichen Hintergrund für Frankensteins Experiment behandelt Shelly nur sehr kurz und oberflächlich, denn darum geht es in ihrem Erstlingswerk gar nicht. Es geht vielmehr um ethische Grundsätze und darum, was einen Menschen als Menschen auszeichnet.

          Ähnlich beschreibt Richards die Hauptthematik von Star Trek. "In erster Linie geht es um die fundamentalen Fragen der menschlichen Identität. Was bedeutet es, ein Mensch zu sein? Worin besteht die Integrität einer menschlichen Persönlichkeit? Welche Rechte besitzt ein Individuum?" {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 80} Gene Roddenberry bestätigt diese Beobachtung, indem er erklärt, der Zweck seiner Serie sei, "uns Menschen so zu zeigen, wie wir wirklich sind." {Gene Roddenberry in der Einleitung zu Rick Sternbach und Michael Okuda: Star Trek - Die Technik der U.S.S. Enterprise - Das offizielle Handbuch; Königswinter, 1994, S. 6}

          Im Gegensatz zu den meisten anderen Science Fiction-Werken oder auch den Frankensteinverfilmungen, die sich von diesen elementaren Fragen entfernen, zugunsten defätistischer Technikbewertung oder Gruseleffekten, besinnt sich Star Trek auf die Wurzeln des Genres. Während viele Filme und Bücher Androiden - seit Mitte des 20. Jahrhunderts meist computergesteuerte Automaten - als Gefahr für die Menschen darstellen, zeichnet Star Trek mit Data ein äußerst positives Bild künstlichen Lebens. Analogien zu Frankenstein sind erkennbar. "In vielerlei Hinsicht führt Data uns zurück zu Mary Shelleys Frankenstein, wo viele der Ursprünge der Serie zu finden sind … Im Vergleich zur Geschichte von Frankensteins Monster mag die von Data ein besseres Ende haben, aber ihr liegt dieselbe Aussage zugrunde: daß jedes Leben sozial ist und sich in soziale Muster einfügen muß." {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 120}
           

        Motivation
          Was treibt aber nun eigentlich die Menschen dazu, maschinelles Leben entwickeln zu wollen? Welche Ansätze, bzw. theoretische Grundlagen, gibt es dazu, und wie stellen sich die Wissenschaftler die Zukunft vor?

          Betrachten wir zunächst die erste Frage. Weshalb wollen Menschen Maschinen bauen, die ihnen sowohl körperlich als auch geistig weit überlegen wären? Dazu verfaßte Richard Barbrook 1997 einen interessanten Essay. {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg; http://www.heise.de/tp/deutsch/special/vag/6062/1.html ; in Telepolis Online; 10.09.96; last modified: 3. Juni 1998; last visited 06/98} In Der heilige Cyborg präsentiert Barbrook vier seiner Meinung nach entscheidende Menschheitsträume, die Wissenschaftler dazu veranlassen trotz kontinuierlicher Rückschläge immer weiter auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz (KI) und des Künstlichen Lebens (KL) zu forschen: "Babies zu machen ohne Sex zu haben; der Herr über Sklaven zu sein; Unsterblichkeit zu erlangen; ja sich sogar in reinen Geist zu verwandeln".

          All dies könnte mit der Entwicklung maschinellen, intelligenten Lebens Wirklichkeit werden. Die erste Phantasie wird mit der Möglichkeit der künstlichen Befruchtung bereits regelmäßig praktiziert, und wer ein Schaf klonen kann, der kann sicherlich auch einen Menschen klonen. Und so "versuchen männliche Wissenschaftler von Gebärmutterneid erfaßt eine Form von Leben ohne Emotionen, Einfühlungsvermögen und Geselligkeit zu schaffen". {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg, a.a.O.}
           
          Das führt uns gleich zur zweiten Phantasie: "Der Wunsch nach Sklaverei ohne Schuld". {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg, a.a.O.} Gäbe es intelligente Maschinen, die aber keine Gefühle besitzen, so bräuchte man sich auch keine Sorgen zu machen, diese zu verletzen, und hätte somit eine ganze Armee von Arbeitern. "Programmiert zu gehorchen ohne zu fragen, wird das Künstliche Leben mit seinem unterwürfigen Status immer zufrieden sein." {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg, a.a.O.}
           
          In der dritten Phantasie der Menschheit geht es darum, körperliche Mängel auszumerzen, um damit das Leben des Einzelnen zu verlängern. Auf diesem Bereich haben wir schon große Fortschritte erzielt, wenn man bedenkt, daß das Austauschen von Organen an der Tagesordnung steht. Doch die generelle maximale Lebensspanne eines Menschen haben wir dadurch noch nicht verlängert, nur die Chance erhöht, ein hohes Alter auch tatsächlich zu erreichen. Also wird darüber nachgedacht, wie es möglich sein könnte, mit Hilfe von Robotern, die einem den Körper zur Verfügung stellen, ewig zu Leben. "Anstatt auf die göttliche Wiederauferstehung zu warten, werden die Seelen sofort in neuen Silikon-Körpern wiederauferstehen". {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg, a.a.O.}
           
          Die letzte Phantasie geht sogar noch weiter. Hier wird davon geträumt, den Körper ganz aufgeben zu können. Statt dessen sollen wir durch Abbilder von uns im Cyberspace weiter existieren. "Unsere Avatare würden nicht länger einfach bloß Mittel für Rollenspiele sein. Sie sollen unsere gesamte Existenzform ausmachen". {Richard Barbrook: Der heilige Cyborg, a.a.O.} Die bekanntesten Vertreter solcher Zukunftsvisionen sind Marvin Minsky und Hans Moravec.
           
      Der Diskurs in Wissenschaft und Philosophie seit 1950
        Bevor wir uns mit dem aktuellen Stand der Forschung und mit verschiedenen Zukunftsvisionen beschäftigen, werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der wissenschaftlichen Diskussion über Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben und die Grenze zwischen Mensch und Maschine, wie sie seit dem Aufkommen der Elektronenrechner intensiv geführt wird.
         
        Die Anfänge
          Richtig beginnt der Diskurs um die Abgrenzung von Mensch und Maschine erst in den 50er Jahren mit dem vermehrten Auftauchen von Rechenmaschinen, die in der Lage waren, Denksportaufgaben zu lösen. Die Grundlagen für den Bau solcher Geräte lieferte der englische Mathematiker Alan Turing aber schon 1936, als er als erster die These aufstellte, daß "jedes Handeln, das einer klaren Vorschrift folgt, auch von einer Maschine ausgeführt, das heißt mechanisiert, werden kann". {Bettina Heintz: Papiermaschinen - Die sozialen Voraussetzungen maschineller Intelligenz; in Werner Rammert (Hrsg.): Soziologie und künstliche Intelligenz - Produkte und Probleme einer Hochtechnologie; Frakfurt/Main / NewYork, 1995, S. 37}

          In seinem Aufsatz On Computable Numbers beschäftigte er sich damit, was ein Mensch tut, wenn er zum Beispiel zwei Zahlen zusammenzählt. Er fand heraus, daß jedes "regelgeleitete Handeln" einem Algorithmus, einem allgemeinen Verfahren, folgt und somit mechanisiert werden kann, indem man mit wenigen Grundoperationen Schritt für Schritt Anweisungen ausführen läßt. Um dies konkret zu beweisen entwickelte Alan Turing 1939 die sogenannte Turing-Maschine oder Universalmaschine. Hierbei handelt es sich um ein mathematisches Modell, nicht um eine wirkliche Maschine im heutigen Sinne.

          Reale Umsetzung fand Turings These dann in den 40er Jahren mit der Erfindung der ersten Digitalcomputer, doch es dauerte noch bis 1956, daß diese Richtung der Wissenschaft einen Namen bekam. In jenem Jahr trafen sich eine Anzahl von Wissenschaftlern unter dem Vorsitz von John MacCarthy auf dem Campus des Dartmouth College, um ein ambitioniertes Forschungsvorhaben mit dem Titel Artificial Intelligence zu formulieren.

          Aber auch schon in den Jahren vor 1956 wurde aufs heftigste über die Möglichkeit intelligenter Maschinen diskutiert. Wieder einmal gab Turing wichtige Denkanstöße. Hatte er sich vorher mit der Frage Können Computer denken? befaßt, so formulierte er sie 1950 um in Sind Computer denkbar, die sich in ihrem Verhalten nicht von einem Menschen unterscheiden? Auf der Hypothese, "daß nicht die Fähigkeit der simulierenden Maschine das Entscheidende sind, sondern das Verhalten der simulierten Menschen" {Bettina Heintz: Papiermaschinen - Die sozialen Voraussetzungen maschineller Intelligenz; in Werner Rammert (Hrsg.): Soziologie und künstliche Intelligenz - Produkte und Probleme einer Hochtechnologie, a.a.O., S. 40}, entwickelte er den Turing-Test, in dem es, vereinfacht ausgedrückt, darum geht, daß ein Mensch versucht, zu entscheiden, ob ein Gesprächspartner ein Mensch oder eine Maschine ist. {näheres hierzu: Alan Mathison Turing: Computing Machinery and Intelligence; http://www.sscf.ucsb.edu/~sung/comm115/writing-define-computing/Computing-machinery.html ; last modified: 29. Mai 1997; last visited 07/98; (Published October 1950)}

          Mit dem Auftauchen neuer Ansätze in der KI-Forschung in den letzten Jahren hat der Turing-Test ein wenig an Bedeutung verloren, doch über 30 Jahre war er Grundlage für Wissenschaftler, die sich mit der Entwicklung denkender Maschinen befaßten. Jedenfalls wurden Anfang der 50er Jahre nicht zum letzten mal Fragen aufgeworfen wie Können Maschinen lebendig sein?, Können sie Bewußtsein haben? oder Was heißt »denken« eigentlich?.

          1966 entwickelte Joseph Weizenbaum, ein Computer Experte am M.I.T. und einer der prominentesten Kritiker des Turing Tests, das erste Sprachanalyse Programm, welches er ELIZA nannte. ELIZA besaß die Fähigkeit mit simplen rhetorischen Mitteln, wie sie von vielen Psychiatern verwendet werden, sich mit einer Person scheinbar zu unterhalten. Der Erfolg dieses Programmes erschreckte Weizenbaum als er feststellte, wie viele der Testpersonen tatsächlich glaubten, ELIZA sei zu Anteilnahme fähig, und eine persönliche Beziehung zu dem Programm zu haben glaubten. Selbst Weizenbaums Sekretärin, die mit seiner Arbeit vertraut war, war davor nicht gefeit. {näheres hierzu: Universität Tübingen: ELIZA Im Tempel der Technik; http://www-fiff.informatik.uni-tuebingen.de/akiug/semester91_92/subsection1_4_3_1_1.html ; last visited 06/98}

          Weizenbaum selbst kritisierte sein Programm, indem er die Meinung vertrat, "der Computer könne lediglich scheinbar intelligente Antworten geben [,...] jedoch vom Inhalt dessen, was er auf dem Monitor oder dem Drucker ausgäbe, keine Ahnung und kein Verständnis" {Achim Bühl: CyberSociety - Mythos und Realität der Informationsgesellschaft; Köln, 1996, S. 170} haben. Die Wissenschaft diskutierte seit dem weiter über die Möglichkeit denkender Computer, doch die genannten grundsätzlichen Positionen blieben bestehen. Letztlich scheint die Anerkennung einer eventuellen Denkleistung einer Maschine von der Kognition des Einzelnen abzuhängen.
           

        Heutige Ansätze und Zukunftsvisionen
          Kommen wir nun zu den Ansätzen, mit denen aktuell versucht wird, Maschinen zum Denken zu bewegen, Künstliche Intelligenz zu schaffen. Es fand hierbei eine Spaltung in die sogenannte starke und die schwache KI-These statt. Bei der starken KI-These wird davon ausgegangen, "daß alle kognitiven Fähigkeiten des Menschen maschinell nachgebildet werden können". {Achim Bühl: CyberSociety - Mythos und Realität der Informationsgesellschaft, a.a.O., S. 171} Die Rechenprozesse im Computer sollen dabei analog zu den Denkprozessen im Gehirn verlaufen. Die Realisation scheitert nur noch an einer genügenden Algorithmisierung des menschlichen Denkens. Die schwache KI-These hingegen sieht lediglich Ähnlichkeiten im Verhalten von Mensch und Maschine. Sie "orientiert sich damit am Ergebnis und erhebt nicht den Anspruch, den Menschen mit der Gesamtheit seiner Hirnleistungen nachbilden zu wollen." {Achim Bühl: CyberSociety - Mythos und Realität der Informationsgesellschaft, a.a.O., S. 172} Einen relativ neuen Ansatz stellen Künstliche Neuronale Netze dar. Man versucht dabei, die neurale Struktur des Gehirns nachzuahmen. {Neuronale Netze und neural siehe Glossar} Die Erfolge auf diesem Gebiet sind also von den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Medizin abhängig. Erheblichere Einschränkungen muß die Forschung allerdings durch den Stand der Computertechnik hinnehmen. Bisher gibt es Softwaresimulationen, die Neuronale Netze niedriger Komplexität rechnen können. Tatsächliche Künstliche Neuronale Netze gibt es noch nicht.

          Deutlich wird hier bereit ein biologischer Ansatz verfolgt. Wird bei den Neuronalen Netzen versucht, existierende physische Strukturen nachzubilden, die offensichtlich Intelligenzleistungen vollbringen, so wird in dem artificial life approach to artificial intelligence versucht, das biologische Prinzip der Evolution nachzuahmen. Erst muß künstliches Leben erzeugt werden, welches dann in einem evolutionären Prozeß Intelligenz selbständig entwickelt. Hierzu werden beispielsweise speziell entwickelte Roboter, die nur über simple Funktionen verfügen, in einem geschlossenen Ökosystem zusammengebracht, in dem sie bestimmten Zwängen unterworfen sind. So müssen sie unter anderem auf ihren Energiebedarf achten und selbständig Aufladestationen anfahren. Mit der Zeit beginnen die Roboter aus eigenem Antrieb zu interagieren, wobei einige Gruppen effizienter arbeiten als andere. {mehr zu diesem Thema: Luc Steels: Die Zukunft der Intelligenz; http://staff-www.uni-marburg.de/~buehlach/steels.htm ; last visited 07/98}

          Die Zukunft, von der Wissenschaftler wie Marvin Minsky und Hans Moravec träumen, ist jedoch noch weit davon entfernt, realisiert werden zu können. Minsky, ein Professor am M.I.T., zum Beispiel stellt sich vor, das Leben zu verlängern und den Verstand des Menschen zu verbessern, indem man Körper und Gehirn verändert. {"To lengthen our lives, and to improve our mind, in the future we will need to change our bodies and brains" - Marvin L. Minsky: Will Robots Inherit the Earth?; http://minsky.www.media.mit.edu/people/minsky/papers/sciam.inherit.html ; Published in Scientific American, Oct. 1994; Last Modified: 3. Januar 1997, last visited 07/98} Chip-Implantate als Speichererweiterung, künstliche Organe und so weiter. "Am Ende werden wir Wege finden, jeden Teil unseres Körpers und Gehirns auszutauschen, und dadurch alle Defekte und Unzulänglichkeiten zu beheben, die unsere Lebenserwartung so kurz halten. Überflüssig zu erwähnen, machen wir uns dadurch zu Maschinen", so Minsky. {"In the end, we will find ways to replace every part of the body and brain - and thus repair all the defects and flaws that make our lives so brief. Needless to say, in doing so, we’ll be making ourselves into machines" - Marvin L. Minsky: Will Robots Inherit the Earth?, a.a.O.}

          Moravec geht sogar noch weiter. Der Direktor des Mobile Robot Laboratory der Carnegie Mellon University stellt sich vor, daß ab dem Jahr 2000 die Entwicklung der Roboter immer schneller vorangehen wird, sie immer intelligenter und leistungsfähiger werden, und sie die Vormachtstellung des Menschen langfristig gesehen ablösen werden. Der Mensch, durch technische Verbesserungen des Körpers schon fast selbst zum Roboter geworden, werde den Kosmos als Lebensraum für sich erschließen. Irgendwann werde der Geist dann, in Software verwandelt, sich in den Cyberspace begeben, wo die Grenzen der Individualität allmählich verschwämmen. Der Körper werde schließlich aufgegeben. Von vielen Kollegen und Kritikern wird Moravec als Spinner abgetan. Dennoch gehört er zu den meistgenannten Experten auf dem Forschungsfeld der Künstlichen Intelligenz.
           

      Der heutige Stand der Technik
        Heute wird in viele verschiedene Richtungen zur Erschaffung Künstlicher Intelligenz geforscht. Auf dem Bereich der Informatik wurden schon enorme Fortschritte erzielt. Computer verfügen über immer größere Speicherkapazität und können immer größere Rechenleistungen vorweisen. Mit dem Entstehen des World Wide Web wurde die erste virtuelle Welt Wirklichkeit. Von Intelligenz kann natürlich noch nicht gesprochen werden, obwohl die Erfindung von Software-Agenten - Programme, die in naher Zukunft als mobile und autonome Repräsentanten ihrer Besitzer im Internet fungieren sollen - einen entscheidenden Schritt in diese Richtung darstellt.

        Auf dem Bereich der Robotik hingegen stellen sich die Erfolge wesentlich langsamer ein. Maschinen, die spezifische Aufgaben erfüllen, werden seit langem in der Industrie eingesetzt. Roboter, die in ähnlicher Weise wie der Mensch ihre Umwelt sensorisch erfassen und adäquat darauf reagieren können, stellen aber immer noch ein Problem dar; von selbständigem Denken ganz zu schweigen.

        Der derzeit komplexeste Roboter der Welt ist Cog, erbaut am M.I.T. von Rodney Brooks und Lynn Andrea Stein. Er besitzt einen Kopf, bestehend aus vier Kameras als Augen und elektronischen Ohren, Torso, Armen und Händen. "Cog soll seine Umgebung so erfahren, wie es ein Kleinkind auch tut, und sich anhand der gemachten Erfahrungen ständig weiterentwickeln". {Roland Bettschart: Mr. Datas Enkel; http://www.industriemagazin.co.at/heft/9611/technik_mehr.html ; last modified: 4. April 1998; in Industriemagazin 11/96; last visited 07/98}

        Einfachere Robotermodelle etwa von der Größe eines Schuhkartons finden schon in verschiedenen Bereichen Verwendung, so zum Beispiel für die US-Navy beim Suchen und Vernichten von Minen oder bei Reparaturarbeiten in der Kanalisation.

        Um weitere Erkenntnisse auf dem Gebiet der sensorischen Erfassung und Verarbeitung der Umwelt, sowie der Förderung des "Teamgeistes" von Robotern zu erlangen, veranstalten KI-Forscher aus der ganzen Welt jährlich den RoboCup, die Fußballweltmeisterschaft der Roboter. Die größten Erfolge wurden allerdings in der Liga der rein virtuellen Spieler erreicht. Sieger in der Simulationsliga wurde 1998 das Team der Carnegie Mellon University, an der auch Hans Moravec lehrt, vor dem Titelverteidiger des Vorjahres, AT Humbolt, der Humbolt Universität Berlin. Auch in der Klasse der mittelgroßen Roboter liegen deutsche Universitäten vorne. {mehr dazu: RoboCup, Infos zum; http://www.weltmeisterschaft98.de ; last modified 30. Juli 1998; last visited 08/98}

        Auch die Entwicklung von "Cyborg-Technologie", der Verschmelzung von Mensch und Technik, bleibt nicht stehen. Während die Brille, eine Erfindung aus dem späten Mittelalter, lediglich auf die Nase geklemmt wird, kann eine Sehbehinderung heute schon mit Implantaten korrigiert werden. Menschen werden mit künstlichen Herzen, Nieren, Beinen und Armen ausgestattet. Computertechnik ist hierbei für die reibungslose Steuerung der maschinellen Organe und Körperteile verantwortlich.

        Computer zur täglichen Anwendung, heute hauptsächlich PC, Mobiltelefon, elektronisches Filo-Fax, werden immer ergonomischer. Der Trend vom zimmerfüllenden Großrechner vor 40 Jahren, dessen Leistungsfähigkeit und Preis von einem handelsüblichen, handtaschengroßen Notebook von heute in einen finsteren Schatten gestellt werden, weist deutlich in die Richtung von Kleinstrechnern, die auf oder gar unter der Haut zu tragen sein werden. {mehr dazu: Gundolf S. Freyermuth: Computer machen Leute - Anziehbare Computer - Die Cyborgisierung beginnt; in c’t - magazin für computer technik, 4/98, S.90; Hannover}
         

      Position der Serie
        Viele der beschriebenen Motive und Visionen sind auch in die Drehbücher von TNG eingegangen. Durch die Auswahl und die Darstellung der verschiedenen Aspekte der Dialektik von Mensch und Maschine nimmt die Serie zwangsläufig eine Bewertung der Thematik vor. Wie wir später sehen werden, beziehen die Autoren ganz bewußt Position, um Gene Roddenberrys Vision einer "optimistischen Zukunft" {Gene Roddenberry in der Einleitung zu Rick Sternbach und Michael Okuda: Star Trek - Die Technik der U.S.S. Enterprise - Das offizielle Handbuch, a.a.O., S. 6} zu bestärken.

        In Star Trek ist künstliches Leben möglich und wird geachtet. In TNG erkämpfen sich eine Art Computerviren ihre Stellung als Lebewesen, werden intelligente Werkzeuge ebenso geschätzt, wie Captain Picard, entwickeln computersimulierte Personen Selbstbewußtsein. {Episoden Evolution, The Quality of Life und Sherlock Data Holmes} Besondere Beachtung findet der Android Data. Etwa 20% aller Episoden haben unter anderem seine Entwicklung zum Gegenstand. Wenn man bedenkt, daß TNG mit elf Hauptcharakteren besetzt ist, bedeutet das eine relativ hohe Gewichtung der Figur. Dabei stellt ihr Platz in der menschlichen Gesellschaft die bedeutendste Thematik.

        Data ist von Dr. Noonian Soong, einem talentierten Wissenschaftler, nach seinem Ebenbild konstruiert worden. {Episode Brothers} Dieser Schöpfungsakt wird jedoch anders als in Frankenstein nicht negativ bewertet. Die Motivation Soongs scheint am ehesten der der Automatenbauer des 18. Jahrhunderts zu entsprechen. Da allerdings niemand genau versteht, wie Data funktioniert, umgibt ihn die Aura eines Wunders. "Jede Episode, in der es um Data geht, stellt die Frage, die für den sense of wonder so wesentlich ist: Was ist das Leben und wo beginnt es?" {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 191} Die Medizin in TNG scheint die Funktionsweise des menschlichen Körpers vollständig durchschaut zu haben, doch das positronische Gehirn des Androiden bleibt unerklärt.

        Leben, auch künstliches, wird in TNG bis auf wenige Ausnahmen als gut und schützenswert angesehen. Selbst wenn eine Lebensform die Enterprise bedroht, wird eine Möglichkeit gesucht, die Gefahr abzuwenden, das fremde Leben dabei aber zu erhalten, was auch fast immer funktioniert.

        Trotzdem synthetischen Lebensformen dieselbe Existenzberechtigung wie dem Menschen zugesprochen wird, "distanziert [die Serie] sich von der meisten übrigen Science Fiction, indem sie im allgemeinen den Unterschied zwischen Mensch und Maschine wahrt. … Es gibt keine Episoden, in denen Data eine Verbindung zu lebendem Gewebe herstellt. … Er ist eine Maschine unter Menschen. In der gesamten Serie wird der Abgrund zwischen Mensch und Maschine niemals überschritten." {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 56} Eine Ausnahme bilden da natürlich die Borg, die als Kombination von Mensch und Maschine die größte Gefahr im Universum darstellen. Mit den Borg auf der falschen und Data auf der richtigen Seite versinnbildlicht die Serie recht deutlich die Möglichkeiten von intelligenten Maschinen. "Skrupellos programmierte Automaten reagieren skrupellos." {Klaus Völker (Hrsg.): Künstliche Menschen - über Golems, Homunculi, Androiden und lebende Statuen, a.a.O.} Doch wenn Technik verantwortungsvoll entwickelt und eingesetzt wird, dann wird sie von großem Nutzen sein und keine Gefahr.
         

      Technik-Utopie
        "Die Enterprise ist auch ein Symbol für die große Hoffnung, die die Technologie im Dienste der Menschheit bietet. In Star Trek versuchten wir immer zu zeigen, daß die Technologie nicht um ihrer selbst willen existiert, sondern als Werkzeug, mit dem wir Menschen besser nach unseren Träumen greifen können", sagt Gene Roddenberry über die Technik in Star Trek. {Gene Roddenberry in der Einleitung zu Rick Sternbach und Michael Okuda: Star Trek - Die Technik der U.S.S. Enterprise - Das offizielle Handbuch, a.a.O., S. 6} Als Teil dieser Technik-Utopie bildet Data keine Ausnahme. Selten hat sich in der Science Fiction das künstlich geschaffene Wesen nicht gegen seinen Erschaffer, der meinte Gott spielen zu dürfen, in vernichtender Weise gewendet. Data hingegen ist der höfliche, hilfsbereite und loyale Freund der Menschen, welche repräsentiert werden durch die Sternenflotte. Er stellt seine bei weitem überlegenen Fähigkeiten in deren Dienst und rettet dadurch nicht nur einmal Schiff und Besatzung. Als Gegenleistung erhält Data dafür die selben Rechte wie jedes andere intelligente Lebewesen auch {Episode The Measure of a Man} und den Respekt und die Freundschaft der anderen Besatzungsmitglieder.

        Aber Data ist nicht nur ein Freund der Menschen, er strebt sogar danach, selbst menschlich zu werden und Gefühle empfinden zu können. Obwohl er weiß, daß er in vielen Bereichen seinen humanoiden Kollegen überlegen ist, fühlt er sich nicht von größerem Wert als diese. Genaugenommen fühlt er gar nicht. Aber selbst als er sich einen Emotionschip einbaut {Star Trek Generations; Regie: David Carson; USA, 1994}, er also sein letztes gebliebenes Manko beseitigt, versucht er nicht, sich über die Menschheit zu erheben. Er besitzt schließlich ein fundamentales Ethik-Programm, welches ihn nur ethisch einwandfreie Dinge tun läßt, und in Star Treks Ethik sind alle intelligenten Lebewesen gleich viel wert, oder sollten es zumindest sein.

        Dennoch wurde der Aspekt des "Kindes", das sich gegen seinen Erschaffer wendet, nicht vollkommen außen vor gelassen. Er ist personifiziert in Lore, dem "bösen" Zwillingsbruder von Data. Lore wurde von Dr. Soong vor Data erschaffen und ist zu Gefühlen fähig. Die Menschen allerdings, die auf dem Planeten wohnten, wo Dr. Soong seine Laboratorien hatte, fürchteten sich vor Lore. Das verbitterte Lore so, daß er schließlich Kontakt zu einer Wesenheit aufnahm, die alles menschliche Leben auf dem Planeten vernichtete. {Episode Brothers}

        Seit dem versucht Lore, die Menschheit zu vernichten. Selbst dem Menschen noch ähnlicher als Data es ist, hält er sie dennoch für minderwertige Kreaturen, schwach und unvollkommen, die keine Existenzberechtigung haben. Er ist auch derjenige, der für den Tod seines Erbauers, der eigentlich wie ein Vater für ihn gewesen ist, verantwortlich ist. {Episode Brothers} Lore wird jedoch von seinem "Bruder" Data abgeschaltet und desintegriert als er versucht, mit seiner Hilfe und der Unterstützung der Borg die Besatzung der Enterprise zu unterwerfen und damit symbolisch die gesamte Menschheit. {Episode Descent (2)}

        Das Element der Technik-Dystopie ist in dem Auftreten der Borg versinnbildlicht. Die Cyborg-Species geht den umgekehrten Weg wie Data. Sie versucht Perfektion zu erlangen, indem sie sich vom Mensch-Sein, wie es in Star Trek propagiert wird, entfernt. Damit wird sie zum idealen Feindbild der Föderation. Die Borg bedrohen die Integrität, die Individualität und die Idiolatrie der Menschen. "Das Bild von Picard als Borg ist wie ein Symbol, in dem sich die Serie ihrer größten Angst stellt, der Angst vor der Zerstörung des Individuums durch die technische Gesellschaft", bestätigt auch Richards diese Auffassung. {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 66}
         

      Vergleich mit anderen Werken der Science Fiction
        Der elektrische Mönch
          Die meisten Bücher zeichnen ein mehr oder weniger düsteres Bild der zukünftigen Gattung Android. In Douglas Adams’ Dirk Gentley’s Holistic Detective Agency - Adams dürfte den meisten durch seine Trilogie in inzwischen fünf Bänden The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy bekannt sein - zeichnet er die Zukunft auf folgende Weise. Dort heißt es: "Der Elektrische Mönch war ein Gerät zur Arbeitseinsparung wie ein Geschirrspüler oder Vidoerekorder. Geschirrspüler spülten für einen das langweilige Geschirr und ersparten einem so die Mühe, es selber spülen zu müssen; Videorekorder sahen sich für einen langweilige Fernsehprogramme an und ersparten einem so die Mühe, sie selber ansehen zu müssen; Elektrische Mönche glaubten für einen gewisse Dinge und ersparten einem damit, was allmählich zu einer immer beschwerlicheren Aufgabe wurde, nämlich alle Dinge zu Glauben, die zu glauben die Welt von einem erwartete." {Douglas Adams: Dirk Gentley’s Holistische Detektei; Hamburg, 1988, S. 9}

          Die Aufgaben und Fähigkeiten einer denkenden Maschine werden in diesem Buch zwar ad absurdum geführt, dennoch bleibt das Ergebnis gleich. Der Android, der durch ein Tor in unsere heutige Welt gelangt, erschießt den Besitzer einer Software-Firma, weil ihn ein Pförtner mit den Worten "Na, schießen Sie mal los" {Douglas Adams: Dirk Gentley’s Holistische Detektei, a.a.O., S. 91} zum Sprechen aufforderte, und der Elektrische Mönch den Befehl wörtlich nahm. Damit löst er eine Welle von Ereignissen aus, die darin endet, daß die Protagonisten des Buches den Jahrhunderte alten Geist eines Zeitreisenden kennenlernen, der auf der Erde schiffbrüchig geworden war, weil er sein Schiff dadurch zerstört hatte, daß er sich von einem Elektrischen Mönch hatte bestätigen lassen, daß der Antrieb in Ordnung sei, anstatt ihn selbst zu überprüfen. Der Android hat sich in diesem Fall gleich zweimal gegen seinen Erschaffer Mensch gewendet und zwar absurderweise dadurch, daß er genau das tat, was man ihm befohlen hatte.
           

        Die Robot-Chroniken
          Ein noch bekannterer Vertreter des Genres Science Fiction, der sich ausgiebig mit diesem Thema befaßt hat, ist Isaac Asimov. Zwar wurde das Wort Robot, welches im Tschechischen Zwangsarbeiter oder Sklave bedeutet, zum ersten mal 1920 von Karel Capek, einem tschechischen Dramatiker, in seiner heutigen Bedeutung gebraucht, aber Asimov war es, der dem Robot erst zu Popularität verhalf. Der Ausdruck Robotik für die dazugehörige Wissenschaft stammt gänzlich von Asimov (Auch das Positronengehirn, mit dem Data ausgestattet ist, wurde aus einem Buch von Asimov übernommen.).

          Der 1992 verstorbene Autor schrieb über sich selbst: "Ich war in den dreißiger Jahren begeisterter Science Fiction-Leser und hatte diese wiederholte Standardhandlung [zum Beispiel Horden säbelrasselnder, mordlustiger Robots] bald satt." {Isaac Asimov: Gold; Bergisch Gladbach, 1995, S. 216} Und so begann er, Robotgeschichten zu verfassen, die sich mehr mit den Unterschieden von Mensch und Maschine, den Gefahren neuer Technologien und der Möglichkeit des Auftretens von Fehlern, sowie der Behebung dieser beschäftigten. Er verfaßte die Drei Gesetze der Robotik {Isaac Asimov: Gold, a.a.O., S. 218}:
           

          1. Ein Robot darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
          2. Ein Robot muß den Befehlen der Menschen gehorchen - es sei denn, diese Befehle stehen im Widerspruch zum Ersten Gesetz.
          3. Ein Robot muß seine eigene Existenz schützen, solange dieses Handeln nicht dem Ersten oder Zweiten Gesetz widerspricht .
           
          Asimov hat uns mehr als 35 Kurzgeschichten und 5 Romane über Roboter hinterlassen. In allen "habe ich ständig die Auswirkungen der Drei Gesetze untersucht" {Isaac Asimov: Gold, a.a.O., S. 223}, so der Schriftsteller. Doch obwohl seine Geschichten nicht mehr notgedrungen in Gewalt gegen den Schöpfer enden, wird lange noch kein ausschließlich positives Bild von Technologie gezeichnet. Wirkliche Technik-Utopien, wie sie Data darstellt findet man so gut wie gar nicht in der Science Fiction.
           
        Terminator
          Statt dessen wird häufig das dystopische Bild einer sich auflehnenden neuen Art gezeichnet. Im Film The Terminator wird ein Zukunftsszenario beschrieben, in dem sich die Maschinen aus der "Asche des nuklearen Feuers" erheben, um ihren "Krieg zur Vernichtung der Menschheit" zu führen. Die Maschinen schicken einen der ihren, einen Terminator, in unsere Gegenwart, um Sarah Connor zu töten, bevor sie den zukünftigen Anführer der menschlichen Resistance gebären kann. Der Terminator ist ein gnadenloser Killer-Android, der keine Skrupel hat, einfach alle Sarah Connors zu töten, die im Telefonbuch stehen. Die richtige wird schon dabei sein. Es gelingt schließlich einem ebenfalls durch die Zeit geschickten Resistance-Kämpfer, den Terminator zu vernichten, und die gesuchte Sarah Connor überlebt.

          Der zweite Terminator-Film Terminator 2 - Judgement Day hat prinzipiell dieselbe Handlung. Ein weiterentwickelter Terminator wird in unsere Gegenwart geschickt und soll den jugendlichen John Connor töten, der der Anführer der Resistance werden würde. Diesmal jedoch wird kein Mensch zur Rettung geschickt. Die Resistance programmiert statt dessen einen Terminator des ersten Typs darauf, John zu beschützen, und schickt ihn ebenfalls in die Gegenwart. Sarah Connor teilt dem Zuschauer später ihre Gedanken über die Beziehung des umprogrammierten Terminators zu ihrem Sohn John mit: "Er würde ihn niemals verlassen. Und er würde ihm niemals wehtun, ihn niemals anbrüllen oder sich betrinken und ihn schlagen, oder behaupten, er wäre zu beschäftigt und hätte keine Zeit für ihn. Er würde immer für ihn da sein, und er würde sterben, um ihn zu beschützen. Von all den möglichen Vätern, die während all der Jahre gekommen und gegangen waren, war diese Maschine, dieses Ding, der einzige, der den Ansprüchen gewachsen war. In einer wahnsinnig gewordenen Welt war er die vernünftigste Alternative." Terminator 2 vertritt also wie TNG die Auffassung, daß eine eventuelle Gefahr der Maschinen direkt von einer verantwortungsvollen Programmierung abhängt.
           

        2001 - A Space Odyssey
          In 2001 - A Space Odyssey spielt der Bordcomputer HAL-9000 des Forschungsraumschiffes Discovery eine zentrale Rolle. In dem Kontext der Geschichte der menschlichen Evolution, die den Rahmen des Films formt, erscheint der intelligente Computer als Teil einer natürlichen Entwicklung. Dr. Bowman, ein Mitglied der Besatzung, antwortet auf die Frage, ob HAL menschliche Gefühle haben könnte: "Ja, er reagiert so, als würde er Gefühle haben. Natürlich ist er so programmiert, damit es uns leichter fällt, mit ihm zu reden, Aber ob er wirklich echte Gefühle hat - ich glaube das ist eine Frage, die wird man nie mit Sicherheit beantworten können." Der Computer bezeichnet sich selbst als unfehlbar und versichert, er stelle sich "ohne jede Einschränkung in den Dienst des Unternehmens, und ich glaube, mehr kann ein verantwortungsbewußtes Gehirn nicht erreichen." HALs Verantwortungsbewußtsein geht allerdings soweit, daß er beginnt, der in Tiefschlaf versetzten Besatzung die Lebenserhaltung abzustellen und Dr. Bowman und Dr. Poole aus dem Raumschiff auszusperren, als es scheint, sie würden die Mission in Gefahr bringen. Das Missionsziel ist für das Elektronengehirn also wichtiger als allgemeine ethische Grundsätze. Diese tragische Priorität wird in der Fortsetzung der Geschichte, 2010, mit einer fehlerhaften Programmierung begründet. Die Maschine ist also auch hier nicht prinzipiell gefährlich, doch wird vor blindem Vertrauen in die Technik gewarnt.
           
        Alien
          Für den Androiden in dem Film Alien steht ebenfalls das Erreichen des Missionsziels vor dem Leben der Raumschiffbesatzung, die nicht einmal informiert wurde, daß es sich bei ihm um einen Androiden handelt. In diesem Fall wird die fehlende ethische Programmierung durch skrupellose Interessen der Regierung erklärt, die den Missionsauftrag gab. Der eigentliche Missionsauftrag, ein extrem gefährliches Lebewesen zu erforschen, ist dabei nur dem Androiden bekannt. Obwohl es sich bei Alien in erster Linie um einen Horrorfilm handelt, läßt sich auch hier ein eindeutiges Plädoyer für den verantwortlichen Umgang mit neuen Erkenntnissen erkennen.
           
        Dark Star
          In John Carpenters Dark Star, einer Satire mit vielen cineastischen Anspielungen, zum Beispiel auf 2001, erlernt eine intelligente Bombe die Grundbegriffe der Phänomenologie {Phänomenologie siehe Glossar} und vernichtet aufgrund seiner Erkenntnisse das gesamte Raumschiff mit den Worten "Am Anfang war Finsternis. … Und ich schwebte über der Finsternis und ich sah, daß ich allein war. - Es werde Licht!" - gefolgt von ihrer Detonation. Zum nachdenken bewogen wurde die Bombe von einem Mitglied der Besatzung, da sie aufgrund einer Fehlfunktion den Countdown für ihre Detonation startete und sich weigerte, sich wieder zu entschärfen. Ein einfaches Ethikprogramm wie die Gesetze der Robotik, hätte hier aber nicht viel genützt. Der einzige Existenzzweck der Bombe war die Selbstzerstörung. Ihre phänomenologischen Erkenntnisse ließen sie die empfangenen Instruktionen und die Existenz der Besatzung bezweifeln. Asimovs Gesetze hätten nicht mehr gegriffen.
           
        Do Androids Dream of Electric Sheep?
          Philip K. Dick zeichnet in seinem Roman Do Androids Dream of Electric Sheep eine klassische Technik-Dystopie. Die Replikanten, wie die Androiden bei Dick heißen, wurden konzipiert, um gefährliche Arbeiten zu übernehmen. Ein Replikant, der der Tatsache gewahr wird, daß seine Lebenserwartung auf wenige Jahre begrenzt wurde, tritt seinem Schöpfer Tyrell gegenüber und bittet um Verlängerung. Der kann diesen Wunsch nicht erfüllen. Der Replikant fühlt sich betrogen und tötet Tyrell.

          Diese zutiefst religiöse Begegnung führt uns zu den Mysterien unserer eigenen Existenz. Warum sind wir hier? Was zeichnet uns aus? "Philip K. Dick untersucht, inwieweit der Mensch als Referenz zur Erkennung von Androiden geeignet ist. Auf der anderen Seite können wir vielleicht etwas lernen, wenn wir Androiden als Referenz zum Erkennen von Menschenhaftigkeit betrachten." {"Philip K. Dick asks what we can expect from humans as a mirror to test for androids and the converse of what we can learn from androids as mirrors to test for humanness." - Roger D. Cook: Philip K. Dick: Reason, Mind and Being; http://www.geocities.com:80/CollegePark/Quad/1506/PKD-ESSA.HTM ; last visited 08/98} Trotz des sehr düsteren Szenarios kommt Dick diesbezüglich zu denselben Ergebnissen wie TNG mit Data. Der Android ist als Projektion unserer selbst besonders gut geeignet, solch elementare Fragen zu erforschen.

          Interessant ist, daß Dick eine Art automatisierten Turing-Test einführt, mit dem man Replikanten erkennen kann. Dabei mißt ein Testgerät Verzögerungen der Kapillarerweiterung im Gesicht des Getesteten, eine "automatische Reaktion, die sogenannte Scham- oder Errötungsreaktion, auf einen moralisch anstößigen Reiz." {"a primariliy automatic response, the so called 'shame' or 'blushing' reaction to a morally shocking stimuli" - Philip K. Dick: Do Androids Dream of Electric Sheep?; Doubleday, 1968 - zitiert nach Roger D. Cook: Philip K. Dick: Reason, Mind and Being, a.a.O.} Der Mensch reagiert dabei unbewußt, der Android muß entscheiden, ob er verlegen sein soll oder nicht. An der Dauer der Entscheidung erkennt die Maschine die Unentschlossenheit. Falls allerdings die Entscheidungsgeschwindigkeit ausreichend gesteigert werden könnte, müßte wieder ein neuer Test entwickelt werden. Worauf es Dick aber ankommt ist, daß ein wesentlicher Teil des Menschen sein Einfühlungsvermögen {"empathy" - Roger D. Cook: Philip K. Dick: Reason, Mind and Being, a.a.O.}ist. Dieser Aspekt wird in Ridley Scotts Verfilmung Blade Runner weitgehend unterschlagen. Scott legt mehr Wert auf die Dystopie. {mehr zur filmischen Umsetzung: Lisa Lui: Do Androids Dream of Hollywood Fame?; http://cafe.berkeley.edu/~dlee/lisa/lisa.html ; 13.05.96; last visited 08/98}
           

        The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy
          Der depressive Roboter Marvin aus Douglas Adams‘ The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy führt uns vor Augen, was aus Data werden könnte, wenn er zu Gefühlen fähig wäre, insbesondere zu Langeweile. Aufgrund seines überlegenen Intellekts empfindet Marvin es als Last, sich auf das Intelligenzniveau von Menschen herabzulassen. "»Leben,« sagte Marvin trübselig, »verabscheue oder ignoriere es, mögen kannst du es nicht.«" {"Life," said Marvin dolefully, "loathe it or ignore it, you can’t like it." - Douglas Adams: The More Than Complete Hitchhiker’s Guide; New York, 1989; incl. The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy © 1979 Douglas Adams, The Restaurant at the End of the Universe © 1980 Douglas Adams, S. 246} Nachdem er 576.000.003.579 Jahre - "Ich habe sie gezählt" {"I counted them." - Douglas Adams: The More Than Complete Hitchhiker’s Guide, a.a.O., S. 392} - auf Zaphod und seine Freunde warten mußte, berichtet Marvin. "»Die ersten zehnmillionen Jahre waren die schlimmsten,« sagte Marvin, »und die zweiten zehnmillionen Jahre, die waren auch die schlimmsten. Die dritten zehnmillionen habe ich überhaupt nicht genossen. Danach ging es ein bißchen bergab mit mir.«" {"The first ten million years were the worst," said Marvin, "and the second ten million years, they were the worst too. The third ten million I didn’t enjoy at all. After that I went into a bit of decline." - Douglas Adams: The More Than Complete Hitchhiker’s Guide, a.a.O., S. 394} Demnach können wir Data nur wünschen, daß er keine Emotionen entwickelt, weil er nicht altert. Nach einigen millarden Jahren könnte selbst dem neugierigsten Androiden die Entstehung einer neuen Lebensform langweilig erscheinen, wie es Marvin erging. {"»Come on here,« said Zaphod. »We’ve got a job for you.« - Marvin trudged toward them. - »I won’t enjoy it,« he said. - »Yes, you will,« enthused Zaphod, »there’s a whole new life streching out ahead of you.« - »Oh, not another one,« groaned Marvin." - Douglas Adams: The More Than Complete Hitchhiker’s Guide, a.a.O., S. 397}
           
        Making Mr. Right
          In Susan Seidelmans Film Making Mr. Right entwickelt der Android Ulysses eine Liebesbeziehung zu der Frau, die ihm soziale Kompetenz beibringen soll. Ulysses war aber eigentlich zum Einsatz im Weltraum konzipiert, da ein Mensch die Jahre der Einsamkeit bei der geplanten Mission nicht ertragen könnte. Am Ende entscheidet sich der Erschaffer von Ulysses, Dr. Jeff Peters, anstelle des Androiden die Erde zu verlassen. "Ich war schon immer ein Einzelgänger," erklärt er auf einer Pressekonferenz. Obwohl in diesem Film die klare Position bezogen wird, daß auch Androiden zu Gefühlen fähig sein werden und ohne soziale Kontakte eingehen würden, handelt es sich doch in erster Linie um eine Verwechslungskomödie, die auf der äußerlichen Ähnlichkeit und den innerlichen Widersprüchen von Ulysses und Dr. Peters beruht. Eine weiteres komödiantisches Element ist die soziale Inkompetenz von Ulysses und Dr. Peters. Mißverständnisse im zwischenmenschlichen Verhalten verleihen auch Data eine gute Prise Humor, wie wir später zeigen werden.
           
        The Adventures of Captain Future
          Es gibt auch Science Fiction-Geschichten, in denen Androiden zwar an der Handlung beteiligt sind, aber die Mensch-Maschine-Dialektik allerhöchstens am Rande behandelt wird. In Edmond Hamiltons The Adventures of Captain Future beispielsweise werden die Besonderheiten des Kunstmenschen Otto, der seine Gestalt beliebig verändern kann, und des humanoiden Roboter Grag, der über herkulische Kräfte verfügt, auf Äußerlichkeiten beschränkt. Captain Future, Otto und Grag sind drei vollständige Persönlichkeiten. Die Frage, ob Maschinen leben können oder ähnliche existentielle Probleme werden nie erörtert. Es handelt sich bei Captain Future nicht um Technikbewertung, sondern vielmehr um den "Versuch, das beliebte Superhero-Thema in die Space Opera zu übertragen." Die Geschichten sind auch zuerst als US Pulp Magazin vom Winter 1940 bis Frühjahr 1944 vierteljährlich erschienen. {mehr dazu: Florian Baumann - Captain Future - Frequently Asked Questions; http://www.captainfuture.com/Captain_Future_FAQ.html ; Version 1.22 vom 22.12.97; © 1995-1997; last visited 07/98}
           
    Datas Queste nach Menschlichkeit
      Das Element, welches die Figur des Data von anderen vorherigen Androiden- oder Robotermodellen unterscheidet, ist dessen Wunsch, menschlich zu sein, das bedeutet unter anderem, Gefühle begreifen und nachempfinden zu können. Dies zu erreichen ist sein primäres Ziel, und daran arbeitet er kontinuierlich. Seine Programme, die ihm von seinem Schöpfer Dr. Noonian Soong mitgegeben wurden, beinhalten auch die Fähigkeit, zu lernen und sich weiterzuentwickeln - eine weitere Fähigkeit übrigens, die als Grundfähigkeit zum Menschsein angesehen werden muß. {Mensch siehe Glossar} Dadurch ist Data in der Lage, nicht nur menschliches Verhalten zu studieren, sondern es auch zu imitieren. Dies fängt beim Blinzeln der Augenlieder an und geht bis zum komplexen Verhalten in Liebesbeziehungen. {Episoden The Offspring und In Theory} Um eine möglichst genaue Analyse einer spezifischen Verhaltensweise der Menschen zu bekommen, wälzt Data nicht selten ein Buch nach dem anderen, was für ihn aufgrund seiner hohen Speicherkapazität und überlegenen Motorik fast keinen Zeitaufwand darstellt. Philosophische Traktate sind darin ebenso beinhaltet wie Studien über die Traditionen anderer humanoider Gesellschaften.

      Doch trotz all der wissenschaftlichen Daten, die Data in der Lage ist, sich anzueignen, fehlt im das Verständnis, emotionsmotivierte Handlungen nachzuvollziehen. Deshalb schleichen sich bei der Imitation regelmäßig Fehler ein. Im besten Fall wirken diese komisch. Sie provozieren aber durchaus auch schon einmal Wut, Enttäuschung oder Resignation bei den anderen Hauptfiguren, obwohl sie wissen, daß Data keine Schuld zugeschoben werden kann. Der Android wirkt oft wie ein kleines Kind, das noch keine Erfahrungen im zwischenmenschlichen Bereich gesammelt hat, und wird auch nicht selten so behandelt. Wenn Data ein Besatzungsmitglied darum bittet, ihm zu erklären, warum wer sich jetzt wie verhält oder warum was jetzt schiefgelaufen ist, scheitert die Erklärung meistens an dem Fehlen nicht emotionsbelegter Vokabeln. Gefühle lassen sich oft nur durch andere Gefühle beschreiben. {Episode Descent I}

      Trotz oder vielleicht gerade wegen seines Mißerfolgs macht es die Figur des Data sehr liebenswert. Hinzu kommt noch, daß der Zuschauer den unvermeidbaren Ausgang der Situation meist Ewigkeiten vorher schon kommen sieht, aber keinerlei Möglichkeiten hat, das Unglück abzuwenden. Die einzige Chance für den Betrachter, sich mit Data zu alliieren, ist, Mitleid mit ihm zu empfinden und ihm gedanklich zu versichern, daß auch er irgendwann verstehen wird.

      In mehr als einem Bereich ist Data jedoch um einiges menschlicher, als er sich selber oftmals zugesteht, was ihm von Captain Picard, Ensign Ro Laren und anderen auch mehrfach bestätigt wird. {zum Beispiel in den Episoden The Quality of Life und The Next Phase} Einmal abgesehen von seinem menschlichen Äußeren ist er sich seiner selbst bewußt. Er weiß, wer und vor allem, was er ist, und was ihn ausmacht. Mehr als einmal findet man ihn in der Serie darauf beharren, er sei ein Android und keinesfalls ein Roboter. Er ist in der Lage, über sich selbst zu reflektieren. {Episode The Measure of a Man}

      Aber es gibt viel simplere Eigenschaften, die Data menschlich oder zumindest sehr menschenähnlich wirken lassen. Zum Beispiel hat Data eine Anzahl von Hobbies. Er spielt Oboe, Flöte und Violine, er malt Ölbilder und schreibt Gedichte für seine Katze Spot. {Die offiziellen Star Trek Fakten und Infos; Heft 1, Datei 55, Karte 1; München, 1998} Man kann ihm also ein gewisses Maß an Kreativität nicht absprechen, wenn man davon ausgeht, daß sie notwendig ist, um diese Tätigkeiten auszuführen. Datas Bemühungen, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen tragen ebenso zu Datas menschlichem Erscheinen bei. Man kann ohne weiteres den Chefingenieur Geordi LaForge, wie auch Guinan, die Besitzerin der Bordbar Zehnvorne und den Sicherheitschef Worf als Freunde Datas bezeichnen. Selbst über seine Katze sagt Data in seiner "Ode an Spot": "Zwar hast du kein Bewußtsein, Spot, und du kannst auch nicht verstehen, aber trotzdem sehe ich in dir einen geschätzten Freund." {Die offiziellen Star Trek Fakten und Infos, a.a.O.}

      Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, daß Data Gegenstände mit persönlichem Wert belegt. So besitzt er zum Beispiel ein holographisches Abbild von der inzwischen toten Natasha Yar, mit der er seine ersten sexuellen Erlebnisse hatte. Diesen Punkt der subjektiven Wertezuordnung wird zu entscheidender Wichtigkeit in The Measure of a Man, als es darum geht, zu entscheiden, ob der Android ein Besitztum der Sternenflotte ist oder als intelligentes Lebewesen gilt, welches die selben Rechte für sich in Anspruch nehmen kann wie jeder Mensch, Humanoide usw. auch. Die Entscheidung fällt zu Datas Gunsten aus und klärt diesen Punkt ein für allemal. Trotzdem ist Data damit noch lange kein Mensch.

      Wie schon zuvor erwähnt, ist er außerdem dazu fähig, zu lernen und sich weiterzuentwickeln, was die Möglichkeit bedingt, Erfahrungen auszuwerten und zu nutzen. Dadurch und durch sein gespeichertes Faktenwissen ist es Data möglich, Situationen wie auch Personen einzuschätzen und darauf seine Handlungsweise zu basieren. Oft ist Data darin sogar exakter und somit besser als der Rest der Besatzung, gerade weil er als einziger nicht von objektiven Gefühlen geleitet wird. Selbstverständlich fällt bei Data das Element der menschlichen Intuition weg, was ein kleines Gegengewicht für die anderen Offiziere gegenüber Datas ansonsten überlegenen Fähigkeiten darstellt.

      Ein weiterer Vorteil für den Androiden liegt darin, daß bei ihm Ethik als Programm vorliegt und somit nicht auf persönlicher Einschätzung beruht. Natürlich darf dabei nicht vergessen werden, daß auch dieses Programm "nur" von einem Menschen geschrieben wurde und deshalb an den Vorstellungen von Dr. Soong gemessen werden muß. Dennoch gibt es Data den Vorteil, in kritischen Situationen schnell ethisch korrekt zu handeln, da er auf simple Programmparameter zurückgreifen kann. Voraussetzung dafür, daß dies überhaupt möglich sein kann, ist die Vorstellung, daß ethisches Verhalten überhaupt in programmierbaren Algorithmen existiert. Dies würde auch bedeuten, daß es auf jede Ausgangssituation eine - und nur eine - ethisch korrekte Reaktion gibt. Asimovs Gesetze der Robotik {siehe Seite *} währen eine denkbare Grundlage. Jedenfalls kann der Zuschauer sich immer auf die Korrektheit von Datas Handlungsweisen verlassen, was ihm durchaus einen Idolcharakter zukommen läßt.

      In einigen Situationen scheint es sogar so, als ob Data über mehr Gewissen verfügt als seine Kameraden. Dadurch wirkt er vielleicht nicht menschlicher als die Menschen, aber zumindest doch humanistischer. Ein gutes Beispiel dafür ist die Episode The Quality of Life, in der Data sich weigert einen Befehl auszuführen, weil durch diesen unschuldige Lebewesen in Gefahr gebracht würden. Weitere Beispiele für gewissenhaftes Verhalten lassen sich ohne große Probleme durch die gesamte Serie hindurch finden. Dieses Verhalten gekoppelt mit ihren anderen unglaublichen Fähigkeiten wie Rechengeschwindigkeit, Speicherkapazität und motorische Überlegenheit, verstärken nur noch den Idolcharakter der Androidenfigur.

      Interessant für Datas Erfolgschancen auf dem Weg zum Menschsein, ist die Beobachtung, daß seine "Hardware" potentiell als Plattform für Emotionen in Frage kommt. In The Schizoid Man ist der Wissenschaftler Ira Graves in der Lage, vor seinem Tot sein gesamtes Wesen in Data zu überspielen und den Androiden dadurch zu übernehmen. Er ist nach dieser Übernahme ohne weiteres dazu fähig, in Data Gefühle zu empfinden. Er benutzt sozusagen Datas Systeme, was den Schluß nach sich zieht, daß der Android entweder die Funktionalität besitzt, Gefühle zu haben oder aber Emotionen per Software implementierbar sind. Das spätere Auftauchen eines von Soong entworfenen Gefühlschips bestätigt letzteres. Analog zur Programmierbarkeit von Ethik, wäre die Voraussetzung für einen solchen Chip ein algorithmenhafter Charakter von Emotionen, was eine sehr gewagte These darstellt, da es den Menschen von seinem Sockel reißen würde, indem man ihm maschinellen Charakter zuschreibt.

      Ein zweites Indiz für Datas virtuelle Gefühlsfähigkeit finden wir in Déjà Q. Hier schenkt Q seinem "Professor für Menschlichkeit" aus Dankbarkeit für Datas selbstlose Rettung Qs zum Abschied ein Lachen. Das Lachen platzt förmlich aus dem Androiden heraus. Es ist keine Imitation, sondern entspringt einem wirklichen Gefühl. Deanna Troi, eine Halb-Betazoidin mit ausgeprägten empathischen Fähigkeiten, spürt die authentische Heiterkeit in Data.
       

    Identifikationsfigur mit Idolcharakter
      Unbeugsamer Humanismus, wie Data ihn verkörpert, wird in vielen verschiedenen philosophischen und religiösen Ideen als erstrebenswert erachtet. Auch der gehypte Begriff der Political Correctness {Political Correctness siehe Glossar} idealisiert solch ethisch und moralisch einwandfreies Verhalten, obwohl p.c. oft auch für scheinheilige Äußerungen benutzt wird.

      Data ist durch und durch "sauber". Er riecht nicht, er nimmt keine Drogen, läuft nie zerlumpt herum, pfeift nicht den Frauen nach {außer in Episode The Schizoid Man, als Ira Graves die geistige Kontrolle über Dats "Hardware" übernimmt}, und nichts kann sein Verantwortungsbewußtsein beeinträchtigen. Und schließlich macht Data nie gravierende Fehler. Trotzdem er angeblich keine Gefühle hat, wirkt er verletzlich. Mit diesen Idoleigenschaften bietet er sich als vorzügliche Identifikationsfigur an.

      Holmes-Figure

        Data als wandelnde Enzyklopädie menschlichen Wissens hilft der Besatzung und dem Zuschauer regelmäßig mit Erklärungen. Er faßt relevante Fakten zusammen und bietet mögliche Schlußfolgerungen an. Treten undurchsichtige Probleme auf, bekommt Data die Aufgabe, die Ursachen zu ermitteln und zusammen mit anderen Wissenschaftlern eine Lösung zu finden. Deduktion, unterstützt von Extrapolation, ist dabei Datas Methode. Intuition fehlt ihm, obwohl er sie gerne zur Rückendeckung seiner logischen Schlüsse hätte. Seine Ermittlungsmethode ähnelt weitgehend der des Romandetektivs Sherlock Holmes {Seit das Copyright für Doyles Geschichten abgelaufen ist, sind komplette Werksammlungen im Internet abrufbar: Sir Arthur Conan Doyle: The Adventures of Sherlock Holmes; compiled by Michael Sherman; http://www.cs.cmu.edu/afs/andrew.cmu.edu/usr18/mset/www/holmes.html ; last updated April 24, 1997; last visited 08/98}, den Data äußerst faszinierend findet, und von dem er sich beeinflussen ließ. {Episoden Elementary, Dear Data und Data’s Day}

        Auch in Datas Persönlichkeit finden sich Parallelen zu Doyles Figur. "Holmes traf die allgemeine Vorstellung des neuen [1880/1890] Publikums an das »The Strand« gerichtet war. »Das Bild ist ursprünglich - der ritterliche Krieger, der zähe Cowboy, der unerschrockene Forscher - er ist der Stellvertreter des Menschen, doch noch darüber hinaus konzentriert sich in ihm die Moral, er ist der mythische Held. Er ist die stabile Mitte, umgeben von Chaos, und zu richtigem Lesegenuß gehört die Identifikation mit diesem Vermittler von Aktion, Wahrheit und schließlich Befriedigung und Erleichterung bei der Auflösung. …« Holmes ist die Quintessenz einer Männlichkeitskonstruktion des späten neunzehnten Jahrhunderts mit seinem Interesse für die Wissenschaft, seiner Furcht vor Frauen, seinem logischen Denken und seiner Emotionslosigkeit. Das Fehlen von Sentimentalität, ein Merkmal der gotischen Erzählungen und in Poes Mystery Stories zu finden, ist nicht Bestandteil von Conan Doyles Holmes-Geschichten." {"Holmes satisfied the general imagination of the new [1880/1890] audience at whom The Strand was aimed. »The image is archetypal - the warrior knight, the tough cowboy, the intrepid explorer - he is the representative of Man, and yet more than a man, he is the focus of morality, the mythic hero. He is the controlled centre surrounded by chaos, and an effective reading must involve identification with this mediator of action, truth, and finally pleasure and relief through closure. …« Holmes is the quintessence of some late nineteenth century constructions of maleness with his interest in science, fear of women, logical thought process and lack of emotion. The lack of sentimentality, a hallmark of the Gothic fiction and present in Poe’s mystery stories, is missing in Conan Doyle’s Holmes narratives." - Stacey J. Gillis: The Elegant Amateur: Class, Gender and Genre in British Detective Fiction between the Wars; http://web.ukonline.co.uk/stacy.gillis ; Last Updated on June 28, 1998; last visited 07/98}

        Diese Beschreibung Holmes‘ läßt sich weitestgehend auf Data übertragen. Womöglich trifft er genau den Geschmack des heutigen Publikums. Er ist ritterlich, er ist zäh, er ist ein unerschrockener Forscher. Als Offizier der Sternenflotte ist er auch ein Stellvertreter der Menschheit. Im Brennpunkt der Moral steht er ständig, wie in Kapitel 3 bereits gezeigt. Auf jeden Fall ist er durch seine objektive Rationalität ein Ruhepunkt mitten im Chaos des Enterprise-Alltags. In Thine Own Self ist Data aktiv mit der Wahrheitsfindung beschäftigt und am Ende der Episode freut sich der Zuschauer, daß wieder einmal alles gut gegangen ist. Falls Data die Männlichkeit im Stil der 1980er/1990er repräsentiert, würde das bedeuten, daß sich in den letzten einhundert Jahren an diesem Bild nichts verändert hätte. Dies zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen. Data zeigt wie Holmes großes Interesse für die Wissenschaft und kommt mit emotionsfreiem, logischem Denken zu den richtigen Ergebnissen. Im Gegensatz zu Holmes hat er allerdings keine Furcht vor Frauen, da dies eine starke Emotion wäre. Wir werden sehen, was der Gefühlschip ihm bringen wird. {In dem Kinofilm First Contact wird Data mit der Borg-Königin konfrontiert, die ihm mit hilfe erotischer Reize offensichtlich ein gewisses Maß an Furcht einflößt. - Star Trek - First Contact, a.a.O.} Er erkennt Frauen als vollkommen gleichgestellt und macht sich eher Gedanken, daß Menschen Angst vor ihm haben könnten. {Episode Hero Worship} Sentimentalität, wie Holmes sie zeigt, scheint etwas zu sein, das Data trotz seiner Gefühlslosigkeit nicht ganz fremd ist. Obwohl er nie eine Träne vergießen würde, wenn Fred Astaire und Ginger Rogers am Ende doch zusammenfinden, so zeigt er doch Mitgefühl und den Hang nach Freundschaft. {Episode Data’s Day} Dabei kann er durchaus enttäuscht werden und nimmt sich das auch mächtig zu "herzen". {Episode Legacy}

        "Holmes sammelte nichts, weder Gegenstände noch Gedanken, welche nicht von besonderer Bedeutung für ihn waren", sagt Data über Sherlock Holmes. {"Holmes collected nothing, neither trinkets nor thoughts, which were not specifically significant to him." - Episode Elementary, Dear Data} Die Aussage scheint auf Data noch besser zuzutreffen. Sein Quartier ist zumindest zu Beginn der Serie nicht angefüllt mit Dingen, die ein besonderes Ambiente erzeugen sollen, wie zum Beispiel Topfpflanzen oder Kerzen. Data ordnet notwendige Gegenstände zweckmäßig an und bewahrt andere auf, deren Bedeutung man nur als sentimental bezeichnen kann. {Episode The Measure of a Man}

        Obwohl Data kein britischer Privatdetektiv ist, sondern Offizier auf einem Raumschiff, so zeigt er doch viele Eigenschaften einer Holmes-Figure, wie Conan Doyle sie entwickelte. Jedoch geht diese Funktion nicht in einer alleinstehenden Hauptrolle auf. Die Besatzung oder andere Personen fungieren zwar manchmal als Watson-Figure, meist jedoch, stellt Data seine Holmes-Eigenschaften Captain Picard zur Verfügung, der diese dann ethisch-moralisch oder aktionell nutzt. In diesem Moment hat Data seinen Job getan und steht nur noch beobachtend daneben, während Captain Picard zum Protagonisten wird. {beispielhaft in Episode Elementary, Dear Data}
         

      Dopplung der Zuschauerposition
        Die Rolle des Beobachtenden wird Data zwangsläufig zuteil, wenn er versucht, die Verhaltensweisen der Menschen zu nachzuvollziehen. Da er es sich selbst zum Ziel gesetzt hat, so menschlich zu werden wie möglich, achtet er sowohl detailliert auf Verhaltensweisen einzelner Personen als auch auf Interaktionen und Sozialstrukturen. Immer wenn er mit Menschen zusammen ist, beobachtet er sie. Selbst wenn er aktiv versucht, auf eine Situation Einfluß zu nehmen, achtet er ständig auf die Reaktionen der Beteiligten. Data versucht die Verhaltensweisen der Menschen zu prognostizieren, wobei er allerdings hin und wieder Mißerfolge verarbeiten muß. {siehe Seite * und Episode Data’s Day}

        Die Beobachterposition, die Data einnimmt, projiziert gewissermaßen die Position des Zuschauers als Teil der Handlung in die Serie. Ein besonderer Reiz einer TV-Serie, wie Richards bezüglich Star Trek ganz richtig erkennt, "liegt in den spezifischen Charakterzügen, die ständig und zuverlässig wiederholt werden … . Auf ähnliche Weise werden die Freundschaften zwischen Individuen … zur Grundlage von Geschichten und können ihren Verlauf oftmals entscheidend beeinflussen." {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 66} Der Zuschauer gewinnt Spaß daran, die Reaktionen der Figuren vorhersagen zu können und zu erkennen, wenn die Autoren mit den etablierten Charakterzügen spielen.

        Aus der Entdeckung unterschiedlicher Persönlichkeiten erwachsen auch unterschiedliche Sympathien für die verschiedenen Figuren. Data spiegelt auch dieses Phänomen wieder, indem er zu einigen Besatzungsmitgliedern Freundschaften unterhält, während er zu anderen eher formelle Beziehungen entwickelt. So bezeichnet Data zum Beispiel Geordi LaForge als Freund, während Jean Luc Picard für ihn immer der Captain sein wird.

        Außer in den Situationen, in denen ein Besatzungsmitglied abgeschnitten von der Enterprise eine persönliche Entwicklung erfährt, ist Data bei jeder Aktivität als interessierter, aufmerksamer Betrachter zugegen. Seine nüchterne Sichtweise kann oftmals eine brenzlige Situationen humoristisch entschärfen. {siehe Seite *} Das erleichtert es dem Zuschauer, entspannt unterhalten zu werden. Der Zuschauer kann die Situation ebenfalls ausgeglichener bewerten.

        Durch die Projektion des Zuschauers in die Figur des Data wird er geschickt an die verschiedenen Ideen von TNG herangeführt. Die Identifikation mit seinem Repräsentanten läßt ihn automatisch dessen Gedanken verfolgen. Da Data sich mit jedem Thema der Serie mehr oder weniger intensiv auseinandersetzt, wird der Zuschauer zum Mitdenken angeregt.

        Aber nicht nur seine innere Objektivität ist dafür verantwortlich, daß jeder Zuschauer eingeladen wird, sich mit Data zu identifizieren. Wie bereits in der Beschreibung der Rollenidee {siehe Seite *} angedeutet, können wir auch von so etwas wie äußerlicher Objektivität sprechen. Seine metallische Haut und die gelben Augen verleihen ihm etwas Neutrales. Er verkörpert eine Art globale Schnittmenge von menschlichem Äußeren. "Dadurch, daß Data eigentlich keine Hautfarbe besitzt, … ist er eine ideale Identifikationsfigur für alle Rassen. … Zur weiteren Akzeptanz führt, daß er genau dieselben Probleme wie jeder hat, der in einer fremden Umgebung leben muß: er beherrscht die Umgangssprache nicht, was daher häufig zu auflockernden Situationen und Mißverständnissen führt." {Nikolai Donitzky: Star Trek - Star Trek Classic und Star Trek - The Next Generation - Versuch einer soziologischen Untersuchung; http://homes.cls.net/~Nikolai.Donitzky/startrek.htm ; last modified: 23. Januar 1998; Kiel, 1997; last visited 07/98} Und nicht nur Probleme sozialer Natur werden in Data konzentriert. "Jedes Identitätsproblem, das in der Serie angesprochen wird, tritt mit erhöhter Intensität bei Data auf." {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 119}

        Das Ziel Gene Roddenberrys, den Zuschauer zu bewegen, über mögliche Wege zu einer besseren Welt nachzudenken, wird dann erreicht, wenn die Rückprojektion der Identifikationsfigur auf den Zuschauer eine weitere Stufe erreicht: Nicht nur daß der Zuschauer sich selbst in Data erkennt, sondern daß er darüber hinaus auch Data in sich selbst erkennt. Data reflektiert nicht nur über seine Umgebung, sondern auch über sich selbst. Im Falle einer Rückprojektion würde das dazu führen, daß der Zuschauer nicht nur über die Serie reflektiert, sondern auch über seine eigene Person und seine Rolle in der Gesellschaft.
         

      Watson-Figure
        Seine Naivität in sozialen Belangen sowie sein Interesse und Verantwortungsbewußtsein in jeglicher Hinsicht lassen Data Fragen stellen, wenn jemand einen Handlungsweg einschlägt, der Data ungewöhnlich erscheint, oder wenn jemand von Dingen spricht, die Data nicht kennt. {beispielhaft in Episode The Outrageous Okona} Auf diese Weise erweitert er seine soziale und fachliche Kompetenz und die des Zuschauers automatisch mit. Er stellt die Fragen, die der Zuschauer beantwortet wissen will, bzw. solche, die den anderen Charakteren ermöglichen, ihre Entscheidungen und Handlungen zu erklären. Data übernimmt hier die Rolle einer Watson-Figure. Es ist den Star Trek-Machern gelungen, die zwei gegensätzlichen Funktionen von Holmes- und Watson-Figure zusammenzuführen. Mit dieser Allegorie erreichen sie gleichzeitig die Dialektik von Maschine und Mensch.
         
    Humor
      Ein weiteres Element, welches Data in die Serie mit einbringt, ist der Aspekt des Humors. Schon in dem Pilotfilm der Serie, Encounter at Farpoint, wird dies deutlich. Der Android macht unfreiwillig Witze, weil er Gesagtes zu wörtlich nimmt und nervt seine Kollegen und Vorgesetzten mit Übergenauigkeit, was quasi zu einem Running-Gag wird.

      Sozialverhalten mit Mißverständnissen

        Da Data selbst nicht weiß, was Humor bedeutet - er mag die lexikalische Definition kennen, kann sie aber nicht nachvollziehen -, macht er die meisten Witze unfreiwillig. Es war schon immer die Natur des Menschen, sich über die Fehler oder Ungeschicklichkeiten anderer amüsieren zu können. Bei Data kann der Zuschauer dies ohne jegliches Schuldbewußtsein tun, da es keine Gefühle gibt, die man verletzen könnte. Und Gelegenheit bietet sich genug.

        Obwohl Data schon seit Jahren unter Menschen lebt, ergeben sich immer wieder Mißverständnisse im Zusammenleben. Oft erscheint der Android in Sachen zwischenmenschliche Beziehungen wie ein kleines Kind, das noch keine Erfahrungen auf diesem Sektor gesammelt hat und seine Komplexität auch noch gar nicht begreifen kann. Dennoch läßt Data nicht locker, menschliche Verhaltensweisen zu imitieren. Oft ruft schon der Versuch Belustigung hervor, weil Datas Aktionen künstlich und unecht wirken, eben imitiert. Einen Großteil der Wirkung haben wir Brent Spiner zu verdanken, "der sich ausgezeichnet auf Imitation versteht und der Rolle eine unerschütterliche, ruhige Komik verleiht, die an Buster Keaton erinnert. {Thomas Richards: Star Trek - Die Philosophie eines Universums, a.a.O., S. 119}

        Ein gutes Beispiel ist die Episode, in der Data versucht eine Liebesbeziehung zu Lt. Jenna D'Sora zu unterhalten. {Episode In Theory} Sein "Wissen", wie man sich dabei zu verhalten hat, stammt aus Büchern und psychologischen Studien über das Thema. So ist er z.B. zu der Meinung gelangt, daß "durch Konflikte, gefolgt von emotionellen Ausbrüchen, "oftmals die Verbindung zwischen zwei Menschen gestärkt wird", und wirft seiner "Geliebten" Dinge an den Kopf wie "Sag mir nicht, wie ich mich benehmen soll" und "Du bist nicht meine Mutter".

        Ein weiteres Beispiel finden wir in Data’s Day. Durch diese Episode führen uns ausnahmsweise Datas Logbuchaufzeichnungen. Der Zuschauer erfährt schnell, daß Data ein Programm entwickelt hat, daß menschliche Reaktionen voraussagen soll. Es ist der Hochzeitstag von Miles O’Brian und Keiko, zwei Freunden des Androiden. Keiko bekommt jedoch kalte Füße und bittet Data, Miles für sie die Nachricht zu überbringen, daß sie die Hochzeit absagen möchte. Der Android glaubt, daß Keiko dann glücklicher ist und geht davon aus, daß alles was Keiko glücklich macht auch automatisch Miles glücklich machen muß. Daher überbringt er dem bemitleidenswerten Ingenieur die Nachricht mit den Worten "Ich habe gute Neuigkeiten. Keiko hat eine Entscheidung getroffen, die ihr Glück vergrößern wird. Sie hat die Hochzeit abgesagt." {"I have good news. Keiko has made a decision designed to increase her happiness. She has cancelled the wedding." - Episode Data’s Day} Und sind die Aktionen von Data hin und wieder nicht schon witzig genug, so sind es die Reaktionen seines Gegenübers, die der Situation ein komisches Moment verschaffen.

        Interessant ist zu beobachten, daß Komik manchmal aber auch gerade dadurch entstehen kann, daß das Imitationsprogramm des Androiden perfekt funktioniert, so zum Beispiel, als er die Fähigkeit zum Small-Talk trainiert. {Episode Starship Mine}
         

      Comic Relief
        Natürlich erfüllt der Einsatz von Humor viele Funktionen in einer Serie. Er verhindert Langeweile, übertriebene Ernsthaftigkeit, er lockert auf. Schließlich soll der Zuschauer sich amüsieren und die Serie beim nächsten mal wieder einschalten. Aber Witze dienen nicht nur zur Belustigung der Zuschauer. Sie ist ein ernstzunehmendes dramaturgisches Mittel, daß besonders Shakespeare zu seinem Recht auf Anerkennung verhalf, indem er es immer wieder in seinen Dramen verwendete. Sein Einsatz dient dazu, vorübergehend Spannung abzubauen und im Gegensatz dazu die Ernsthaftigkeit der restlichen Geschehnisse zu betonen. Diese Wirkung nennt man Comic Relief. Data trägt also, indem er uns zum Lachen bringt, auch noch wesentlich zum dramaturgischen Aufbau der Episoden bei, eine nicht zu unterschätzende Verantwortung.
         
    Sympathieträger
      Data repräsentiert als Android mit humanistischer Persönlichkeit eine positive Vision von Technik. Seine vorbildliche Ethik, seine Höflichkeit und seine überlegenen Fähigkeiten verleihen ihm einen klassischen Idolcharakter. Durch den Humor und die elementaren existentiellen Fragen, die wichtige Aspekte der Rollenkonzeption ausmachen, bietet Data sich als Identifikationsfigur an. Aufgrund der Kombination von Utopie, Idolcharakter und Identifikationsangebot zieht die Figur die Sympathien der Zuschauer auf sich.

      In gewisser Weise personifiziert Data einen Großteil von dem, was die Vision von Star Trek ausmacht: Unvoreingenommene Freundlichkeit gegenüber jedem Lebewesen, Verantwortung im Umgang mit Technik.. Kurz, wie Data es in The Offspring seiner "Tochter" Lal erklärt:
       

        "Unsere Aufgabe ist es, in positiver Weise auf die Welt einzuwirken, in welcher wir leben."
       
    Zusammenfassung
      Wie wir gesehen haben ist die Idee des künstlichen Menschen schon in den Sagen der Antike zu finden. Das traditionsreiche Motiv zieht sich in Gestalt von Golems, Homunculi und Automaten durch alle Epochen. In der heutigen Zeit findet es Verwirklichung in der Science Fiction-Literatur und auch in der KI- und Roboterforschung. In den letzten zehn Jahren hat sich außerdem der Gedanke etabliert, künstliches Leben in virtuellen Welten ohne physische Gestalt schaffen zu wollen. Die aktuellen Variationen werden in The Next Generation verarbeitet. Für die Besatzung der Enterprise gehören Android und Holodeck zum täglichen Leben.

      Obwohl der künstliche Mensch hier ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft darstellt, wird in der Serie das Aufeinandertreffen von Mensch und Maschine und ihr Umgang miteinander immer wieder feinfühlig thematisiert. Die Dialektik wird uns im Falle des Data als Technikutopie präsentiert. Die Maschine unterstützt nicht nur den Menschen, sondern versucht darüber hinaus, selbst menschlich zu werden, und kann in dieser Hinsicht auch beachtliche Erfolge verzeichnen. Data bringt den Zuschauer immer wieder dazu, über seine eigene Existenz nachzudenken

      Den Zuschauer zur Selbstreflexion zu animieren, ist aber nicht die einzige Aufgabe, die die Figur erfüllt. Da Data eine Maschine ist, darf er als wandelnde Enzyklopädie - als Vermittler von Daten, englisch Data - mit Fachwissen aufwarten, ohne dabei überheblich zu wirken. Dafür sieht man ihm sein beinahe kindliches Ungeschick im zwischenmenschlichen Bereich belustigt nach. Dieses humoristische Element wird dramaturgisch geziehlt eingesetzt.

      Die beschriebene Vielseitigkeit des Charakters ist beispielhaft für die Vielseitigkeit des Universums, welches Gene Roddenberry in Star Trek zeichnet. Zweifellos ist die komplexe Ausgestaltung der Serie ein wesentlicher Teil dessen, was ihre Faszination ausmacht.
       

Anhang
    A. Glossar
     
      Definitionen nach Duden - Das Fremdwörterbuch und Meyers Lexikon.
Quellen  


 
 
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